Wien – Für Maturanten wäre Nataliya B. ein wahr gewordener Traum, falls die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen sie stimmen. Die 47-Jährige soll in ihrem Sprachinstitut nämlich bei staatlich vorgeschriebenen Deutschprüfungen für Zuwanderer deren Erfolg deutlich erleichtert haben, unter anderem indem sie minutenlang den Raum verließ.

Was aus Sicht der Anklagebehörde Amtsmissbrauch ist, die drohende Strafe beträgt sechs Monate bis fünf Jahre Haft. Vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Nicole Rumpl plädiert die Frau, die in ihrer Tätigkeit quasi als Beamtin fungierte, auf nicht schuldig.

Unterstützt von Verteidiger Rudolf Mayer, der in seinem Eröffnungsplädoyer auf einen merkwürdigen Umstand hinweist: "Zunächst gab es ein Verfahren am Bezirksgericht wegen Urkundenfälschung. Dann wurde daraus das Delikt der falschen Beurkundung im Amt. Und erst jetzt soll es plötzlich Amtsmissbrauch sein. Wenn sich selbst Juristen nicht einig sind, wie das eingeschätzt werden muss - woher soll sie es wissen?"

Unerträglicher Lärm

Die studierte Dolmetscherin B. beteuert, dass immer zwei Aufpasser im Prüfungsraum gewesen seien, sie selbst und eine Mitarbeiterin. Manchmal sei sie kurz hinausgegangen, um Unterlagen zu holen oder das WC aufzusuchen. Aber primär, um den Schallpegel zu senken. "Jedes vierte Mal waren Angehörige mit Kindern im Warteraum. Den Lärm kann man nicht aushalten."

Dass der Österreichische Integrationsfonds, bei dem die Deutschkenntnisse für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung oder zur Visumsverlängerung nachgewiesen werden müssen, zum Innenministerium gehört, will sie nicht gewusst haben.

Vorsitzende Rumpl wundert sich über die ausbaubaren Fähigkeiten der Absolventen: "Alle Zeugen brauchen einen Dolmetscher." Für die unbescholtene B. leicht erklärbar: "Die meisten Sachen für die Prüfung lernen sie auswendig."

Leichtere Prüfungen

Manche der befragten Prüflinge waren von ihrem eigenen Erfolg überrascht. Und schildern, dass sie teils minutenlang alleine gewesen seien und sich dadurch entsprechend austauschen konnten. Einige erzählen auch, sie hätten gehört, dass die Prüfungen in dem Institut leichter seien, und sie seien daher extra aus Oberösterreich angereist.

Die Erleichterung könnte stimmen. Eine Mitarbeiterin des Integrationsfonds berichtet, das Institut habe wegen zu milder Benotung 21 Schreiben des Fonds und drei Verwarnungen bekommen. "Es wurden beispielsweise bei den Tests auch bei Nichtbeantwortung von Fragen Punkte vergeben." Im Februar 2013 entzog man dem Unternehmen schließlich die Zertifizierung.

B.s Mitarbeiterin wiederum bestätigt dagegen, dass fast immer zwei Personen anwesend gewesen seien. "Vielleicht war für ein paar Sekunden niemand da, wenn ich vor die Tür gegangen bin und um Ruhe gebeten habe." - "Hat das die Angeklagte auch gemacht?", will Rumpl wissen. "Nein." Aus Sicht der Zeugin sei aber immer alles korrekt abgelaufen, Abschreiben und Tuscheln seien verhindert worden.

Diversion für Mitarbeiterin

Verteidiger Mayer findet übrigens eine weitere Tatsache höchst interessant: Auch die Zeugin war in dem Verfahren eine Beschuldigte. Sie wurde allerdings nur wegen falscher Beurkundung verfolgt und das Verfahren mit einer Diversion erledigt.

Vertagt auf Ende Februar. (Michael Möseneder, DER STANDARD, Langfassung, 24.1.2014)