Fertig fürs Date: 957 Tage hatte die Raumsonde Zeit, um sich auf das Treffen mit dem Kometen vorzubereiten. Kontakt soll es über diesen Lander geben.

Visualisierung: Esa / AOES Medialab

Die Ruhephase dauerte 957 Tage. So lange befand sich die Esa-Raumsonde Rosetta im Energiesparmodus. Am 2. März 2004 war sie nach einigen Komplikationen ins Weltall katapultiert worden, um den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko (67P) zu "besuchen". Am Montag wurde Rosetta nun aus ihrem Tiefschlaf geholt. Seither laufen die Vorbereitungen für ihr Auftreffen auf den Kometen. Es soll planmäßig im November 2014 stattfinden.

Seit Wochen herrschte in der internationalen Fachwelt gespannte Erwartung. Wie wird Rosetta auf den vom Esa-Kontrollzentrum in Darmstadt ausgesandten Weckruf reagieren? Funktioniert die diffizile Elektronik nach der langen Pause noch? Muss man mit Komplikationen rechnen? Um den Nervenkitzel gemeinsam und "live" zu erleben, trafen einander Projektmitarbeiter und Space-Begeisterte am Montag am Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Das IWF ist an dieser außergewöhnlichen Weltraummission mit fünf Instrumenten an Bord der Sonde beteiligt.

Als man sich gegen 17 Uhr versammelt, liegt der Weckruf bereits sechs Stunden zurück. Mittlerweile sollte Rosetta ihre Hauptantenne zur Erde ausgerichtet haben, um über die Bodenstationen in Kalifornien und Spanien mit dem Darmstädter Missionsteam in Kontakt zu treten. Frühestens ab 18.45 Uhr werde das erste Signal der erwachten Sonde in Darmstadt und über eine Live-Schaltung auch in Graz eintreffen, heißt es. Die Gesichter der Grazer Weltraumforscher sind angespannt, unliebsame Überraschungen können schließlich nicht ausgeschlossen werden.

Wake up, Rosetta!

Um die Wartezeit zu verkürzen, dürfen einige junge Weltraumfans Weckrufe ins Mikrofon schmettern: "Wake up, Rosetta! Wake up!". Das erwachsene Publikum wird mit Hintergrundinformationen zur Mission bei Laune gehalten, die ungeduldigen Weltraumzwerge amüsieren sich derweil bei der Zubereitung eines Kometen aus Trockeneis. Ein kurzweiliges Programm. Doch als es um 19 Uhr noch kein Lebenszeichen von Rosetta gibt, macht sich leichte Unruhe bemerkbar. Jetzt ist Geduld gefragt, denn "so ein Aufweckvorgang kann bis zu vier Tage dauern", meint Werner Magnes vom Grazer IWF lakonisch.

Zurzeit ist Rosetta etwa 810 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, von ihrem Ziel trennen sie neun Millionen Kilometer. Eine größere Kurskorrektur Ende Mai wird die Sonde auf ihren endgültigen Weg bringen. Wenn keine Komplikationen auftreten, wird sie im August in ihre Umlaufbahn um den Kometen einschwenken. Im November soll schließlich das von ihr abgekoppelte Messlabor "Philae" auf dem Kometen Tschuri landen.

Mit Rosettas "Erwachen" wird also die heiße Phase dieser Raummission eingeläutet: "Bereits im Sommer erwarten wir die ersten Bilder von Tschurjumow-Gerasimenko", freut sich Institutsleiter Wolfgang Baumjohann. "Darauf sind wir schon extrem gespannt, denn bisher gibt es nur Vermutungen über das Aussehen 'unseres' Kometen".

Endet die Mission wie geplant Ende nächsten Jahres, wird Rosetta über sieben Milliarden Kilometer durch das Sonnensystem zurückgelegt haben. Denn ihr Kurs ist alles andere direkt: Um den Kometen zu erreichen, musste sie zum Schwungholen mehrmals durch Swing-by-Flüge die Schwerkraft von Planeten nutzen. Außerdem wird Rosetta ihren "Tschuri" umkreisen und sich gemeinsam mit ihm der Sonne nähern.

Die wissenschaftlich höchst anspruchsvolle Forschungsmission kostet in Summe rund eine Milliarde Euro. Was sie antreibt, ist nichts weniger als die große Frage nach der Entstehung unseres Sonnensystems vor 4,6 Milliarden Jahren. Waren es vielleicht Kometeneinschläge, die einst Wasser und organische Moleküle auf die Erde brachten und so die Grundlage für alles Leben auf unserem Planeten schufen?

Die Frage der Fragen

Kometen - eine Mischung aus Stein, Eis und Staub - stammen nämlich aus der Frühphase unseres Sonnensystems und verfügen wie Asteroiden über weitgehend unbeeinflusstes Material aus dieser Zeit. Dass die Forscher ausgerechnet "Tschuri" zum Ziel ihrer Mission machten, hat unter anderem mit dessen Zugehörigkeit zur Jupiterfamilie zu tun: Diese Kometen bestehen aus besonders unverfälschtem Material, weil sie in der Nähe der Jupiterbahn den größten Sonnenabstand erreichen und über Milliarden von Jahren ihre Jugend quasi im Eis konservieren.

Wenn sich der Komet auf seiner Bahn der Sonne nähert, wird diese gefrorene Urmaterie für die Forscher zugänglich: Die Oberfläche erwärmt sich, Wasser und gefrorene Gase verdampfen und reißen winzige Staubteilchen mit sich. Für die Wissenschaft sind Kometen deshalb fantastische Schatztruhen. Gelingt die Landung auf "Tschuri", wird sich eine davon öffnen.

In wenigen Monaten wird es so weit sein, und bis dahin sollte auf Rosetta alles funktionieren. Nicht zuletzt die komplexen Instrumente, mit denen das vorgefundene Material untersucht werden soll. Dazu gehört etwa das Raster-Kraft-Mikroskop Midas, an dessen Entwicklung das Grazer IWF federführend mitgewirkt hat. Midas soll die physikalischen Parameter jenes Kometenstaubs untersuchen, der freigesetzt wird, sobald sich der Komet der Sonne nähert.

Als sich einige Besucher bereits von der Hoffnung verabschieden, live beim Erwachen von Rosetta dabei zu sein, ist es um 19.17 Uhr plötzlich doch noch so weit: Die Raumsonde gibt deutliche Lebenszeichen von sich. Nach einigen Sekunden der Unsicherheit bricht im Veranstaltungssaal des IWF Jubel aus. Genau wie auf den diversen Bildschirmen.

Dass man sich erst in ein paar Wochen ein genaues Bild über den Zustand von Rosetta und ihrer wertvollen Fracht wird machen können, spielt in der Begeisterung im Moment keine Rolle. Denn die elf Instrumente der Raumsonde sowie die zehn Geräte des Landeroboters werden erst nach und nach eingeschaltet und auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft werden.

Weltraumforscher vergleichen die Bedeutung der Rosetta-Mission übrigens mit jener der Mondlandung im Jahr 1969. Immerhin soll eine Raumsonde erstmals auf einem Kometen landen - und nicht nur an ihm vorbeifliegen. (Doris Griesser, DER STANDARD, 22.1.2014)