Bild nicht mehr verfügbar.

In seinen acht Jahren an der EZB-Spitze musste sich Trichet die Hälfte der Zeit gegen die Krise stemmen.

Foto: Reuters

Er ist seit gut zwei Jahren nicht mehr im Amt, seine Auftritte sind rar geworden. Umso mehr Aufmerksamkeit erhält Jean-Claude Trichet, wenn er sich einmal in der Öffentlichkeit blicken lässt. Graue Hose, schwarzes Sakko, kariertes Hemd mit weißem Kragen, blaue Krawatte: Den in die Jahre gekommenen Herrn umgibt immer noch eine geheimnisvolle Aura. Die der Franzose für sich zu nutzen weiß.

Wenig hat sich daran geändert, dass man beim früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank nach wie vor zwischen den Zeilen lesen muss. Seine Worte sind gewählt, auf Seitenhiebe auf seinen Nachfolger Mario Draghi oder andere Notenbanker sowie Politiker wartet man vergeblich, auch auf mehrere Nachfragen lässt er sich nicht ein. Lieber spricht er bei einer Länderrisikokonferenz des Kreditversicherers Coface in Paris detailreich über den Ausbruch der Krise, deren Verlauf bis heute.

Allein der Umstand, dass die Zentralbanken sieben Jahre nach Platzen der Subprime-Blase noch im Krisenmodus unterwegs sind, zeige, dass die Normalität noch nicht erreicht sei, hält er fest und warnt zugleich vor den Folgen des Status quo. EZB, Fed oder die Bank of England "kaufen Zeit, in der die Regierungen die Ungleichgewichte korrigieren müssen", schildert der 71-Jährige. Wenn das nicht passiere, "werden wir in Zukunft große Probleme haben".

Große Fortschritte

Europa habe seit Ausbruch der Krise große Fortschritte gemacht, lobt Trichet die Union und meint damit auch die Maßnahmen der Zentralbank. Allerdings stehe noch viel Arbeit bevor. Dass die Leistungsbilanzdefizite der europäischen Krisenstaaten von acht bis neun Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2008 mittlerweile abgebaut werden konnten, ist aus Trichets Sicht ein Erfolg. Jetzt hätten Spanien, Irland oder Portugal den Grundstein für mehr Wachstum gelegt.

Die genannten Länder befänden sich am Ende eines schwierigen Anpassungsprozesses. Doch wären die hohen sozialen Kosten der Rosskur vermeidbar gewesen? Hätte nicht schon Trichet das gelingen können, was sein Nachfolger mit der Ankündigung unbegrenzter Staatsanleihenkäufe zustande brachte - eine deutliche Reduktion der Zinsen von Italien bis Spanien?

Ein Hauch von Trotz

Trichet verweist auf seiner Meinung nach vergleichbare Maßnahmen während seiner Amtszeit: Im Mai 2010 wurden Griechenland, Portugal und Irland durch die umstrittenen Käufe von Staatspapieren gestützt. Im August 2011 half die EZB dann Spanien und Italien. Diese Aktionen hätten sich von Draghis Ankündigung Ende Juli 2012 nicht stark unterschieden, erklärt Trichet fast ein wenig trotzig. Auch er habe bei den seinerzeitigen Anleihenkäufen keine Begrenzungen der Stützaktionen betraglicher oder zeitlicher Natur in den Mund genommen.

Das ändert freilich nichts daran, dass Trichet nicht den durchschlagenden Erfolg Draghis hatte. Seine Worte stehen überdies im Widerspruch zu Aussagen von Kritikern, die der EZB zu große Zurückhaltung in der Krise und eine ernsthafte Gefährdung der Währungsunion vorwerfen. Doch die "Eurozone wurde nie infrage gestellt", hält Trichet dem entgegen. Es sei immer nur um Austritte einzelner Staaten gegangen. Wenn Leistungsbilanz- und Budgetdefizite nicht mehr finanzierbar seien, seien Anpassungen eben unvermeidbar.

Und wie steht es heute um die Risiken? Trichet unterstreicht die Fortschritte im institutionellen Rahmen. Die Beseitigung der Ungleichgewichte, die Verschärfung des Stabilitätspaktes und die Bankenunion lobt er als große Schritte in Richtung politischer Gemeinschaft. "Aber es muss noch mehr kommen", warnt er. Was ihm besonders am Herzen liegt: die stärkere demokratische Legitimierung von Maßnahmen. Das ist für Notenbanker, die hinter verschlossenen Türen über die finanzielle Zukunft ganzer Länder entscheiden, doch eine bemerkenswerte Erkenntnis. (Andreas Schnauder aus Paris, DER STANDARD, 22.1.2014)