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Palästinensische Aktivisten veröffentlichten Fotos von unterernährten Kindern im Yarmuk-Camp. Dutzende sind seit Oktober verhungert.

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Verwüstung in Yarmuk: Wo früher mehr als 150.000 Palästinenser wohnten, versuchen heute weniger als 20.000 zu überleben.

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Kundgebung in Gaza-Stadt für die Flüchtlinge in Yarmuk.

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"Wie lange müssen Kinder Hunger leiden? Wie lange noch müssen wir von dem belagerten Yarmuk-Flüchtlingscamp in Damaskus ausgesperrt bleiben?"

Es ist ein dramatischer Appell, den zahllose internationale Organisationen vom Roten Kreuz bis zu Amnesty International am Dienstag veröffentlicht haben, um auf das Leid der Menschen in dem Stadtteil im Süden der syrischen Hauptstadt aufmerksam zu machen. Erstmals seit Monaten gelang es am Wochenende einem Konvoi verschiedener Hilfsorganisationen, in das seit Monaten belagerte Gebiet vorzudringen. In dem von Regierungstruppen eingeschlossenen Camp herrsche schreckliches Leid, infolge der Lieferengpässe kämen Schwerverletzte und gebärende Frauen ums Leben, erklärte das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA). Wasser, Strom und medizinische Versorgung sind Mangelware.

Vor allem Kinder und Ältere leiden demnach unter chronischer Mangelernährung. Aktivisten berichten von Flüchtlingen, die Gras und sogar Katzen essen, um nicht zu verhungern. Seit Oktober sollen mehr als 40 Menschen an den Folgen der katastrophalen Zustände im Camp ums Leben gekommen sein.

Das Leben in Yarmuk war nicht immer so trist - im Gegenteil. Palästinensern in Syrien ging es verglichen mit Palästinesern in anderen arabischen Ländern verhältnismäßig gut. "Wir waren glücklich in Syrien. Wir durften arbeiten, unsere Kinder konnten studieren", meint Adnan Qasem Mohammed, der vergangenes Jahr aus dem Yarmuk-Camp in den Libanon geflüchtet ist.

Vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges war der damaszener Stadtteil Heimat für über 150.000 Palästinenser und damit das größte palästinensische Flüchtlingslager in Syrien. Das Camp begann als Zeltbehausung für Flüchtlinge im Jahr 1957. Im Lauf der Jahre bauten die Einwohner Häuser, Apartments, Schulen und Spitäler auf dem rund 1,5 km² großen Areal.

Dutzende verhungern

Viele Flüchtlinge wurden widerwillig in den von innerislamischen Spannungen geprägten Bürgerkrieg zwischen dem alawitischen Regime von Bashar al-Assad und sunnitischen Aufständischen gezogen. Die palästinensische Hamas, deren Führungsriege in Damaskus lange Unterschlupf gefunden hatte, wendete sich nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges vom Regime ab und verließ Syrien gen Doha, einige Palästinenser schlossen sich der FSA an, während andere die Anti-Regime-Einheit Liwa al-Asifa gründet. Nur die Palästinensische Befreiungsfront PFLP verblieb loyal an der Seite des Assad-Regimes. Die meisten Palästinenser in Syrien versuchten jedoch den Balanceakt, keine der beiden Konfliktparteien vor den Kopf zu stoßen und möglichst neutral zu bleiben. Letztlich führte das dazu, dass beide Seiten rücksichtslos gegen das Camp vorgingen.

Die ersten Zivilisten flohen im Juni 2012 aus Yarmuk - laut Regimeangaben, nachdem islamistische Rebellen in das Viertel eindrangen. Seither ist Yarmuk Ausgangspunkt für Angriffe von Rebellen der FSA und islamistischen Rebellengruppen. Das Regime antwortete zuerst mit Luftschlägen, seit Juli vergangenen Jahres wird das Stadtviertel belagert. Ein halbes Jahr später sind Schätzungen zufolge noch weniger als 20.000 Palästinenser zwischen den Fronten gefangen - ohne Nahrung, Wasser, Medizin oder Elektrizität. Angaben palästinensischer Aktivisten zufolge sind seit Oktober Dutzende Menschen im Camp verhungert. Viele mehr sind an Tuberkulose und Gelbsucht erkrankt.

Palästinenser gegen Palästinenser

Die Komplexität des Bürgerkriegs in Syrien spiegelt sich im Kleinen auch im Yarmuk-Camp wider. Hier kämpften nicht nur Regierungssoldaten und deren schiitische Verbündete gegen islamistische Kämpfer und Rebellen der FSA, sondern auch bewaffnete palästinensische Pro-Assad-Verbände gegen islamistische geprägte Palästinenser-Gruppen. Im Wirrwarr der Loyalitäten bleiben die Zivilisten auf der Strecke.

Nicht zum ersten Mal. Nach 1947 aus Palästina, 1970 aus Jordanien, 1982 aus dem Libanon und 1991 aus Kuwait sind seit 2012 abermals tausende Palästinenser auf der Flucht. Viele wissen nicht, wohin, denn in den Nachbarländern sind sie dieses Mal alles andere als willkommen. (stb, derStandard.at, 22.1.2014)