Kriegsmuseum in Pjöngjang, Nordkorea.

Foto: Luca Faccio

Kriegsdenkmal in Seoul, Südkorea.

Foto: Luca Faccio

Jugendliche in Nordkorea ...

Foto: Luca Faccio

... und in Südkorea.

Foto: Luca Faccio

Drei Jahre lang musste Luca Faccio auf sein erstes nordkoreanisches Visum warten. Seither konnte der Künstler das Land sechsmal besuchen und liefert mit seinen Fotos Einblicke in eine geschlossene Gesellschaft, die mit dem südkoreanischen Nachbarn mehr gemein hat, als man glauben würde. Anlässlich seiner Ausstellungseröffnung im Wiener Künstlerhaus sprach Faccio, der in Wien lebt, mit derStandard.at über Hindernisse bei seiner Arbeit, Postkarten aus Pjöngjang und den Medienrummel um Dennis Rodman.

derStandard.at: Sie kritisieren die Nordkorea-Berichterstattung westlicher Medien. Was genau stört Sie daran? Wie nimmt man die Bedrohungsszenarien aus Nordkorea, die in den westlichen Medien immer prominent platziert sind, wahr, wenn man direkt vor Ort ist?

Faccio: Kim Jong-un spielt mit den westlichen Medien. Er weiß genau, wenn er Aussagen macht, springen die westlichen Medien sofort. Was ich kritisiere, ist, dass immer die Bilder von Kim Jong-un gezeigt werden, aber nie das Volk. So wird das nordkoreanische Militärsystem auch indirekt mitfinanziert, denn die westlichen Medien sind die ersten Abnehmer der staatlichen nordkoreanischen Bildagentur. Die Staatsideologie beinhaltet ja: Militär zuerst.  Das heißt, das Geld geht zuerst ans Militär. Insofern sind die westlichen Medien die ersten Unterstützer. Ich bin dafür, keine Bilder mehr von Kim Jong-un zu zeigen.

derStandard.at: Ihre neue Fotoausstellung zeigt Bilder aus Nord- und Südkorea und heißt "Common Ground". Südkorea ist eine hochtechnologisiertes Land, Nordkorea hingegen abgeschottet vom Rest der Welt. Was haben diese beiden Länder denn noch gemeinsam?

Faccio: Da wären zum einen augenscheinliche Dinge wie das Essen oder die traditionelle Festkleidung, der Hanbok, der zu bestimmten Anlässen getragen wird. Aber auch die Mentalität ist die gleiche. Sowohl Nord- als auch Südkoreaner glauben, dass sie besser als andere Völker sind. Sie haben beide sehr viel Witz, sind ein lustiges Volk. Der Wunsch nach einer Wiedervereinigung wird in Nordkorea auch offen angesprochen. Es ist kein Tabu.

derStandard.at: Welchen Blick haben die Südkoreaner auf Nordkorea?

Faccio: Die Südkoreaner haben Mitleid mit den Nordkoreanern. Sie haben überhaupt keine Angst vor Nordkorea. Wenn Kim Jong-un eine Bombe hochgehen lässt, dann meinen sie: Hat er wieder ein paar Pizzen bestellt. Der Konflikt wird von den Jungen nicht einmal ernst genommen, sondern eher von der Politik hochgekocht. Die Menschen in Nord- und Südkorea haben davon die Schnauze voll.

derStandard.at: Wie interpretieren Sie die Besuche von Basketballstar Dennis Rodman in Nordkorea?

Faccio: Ich verstehe nicht, warum man sich mit diesem Menschen überhaupt beschäftigt und über ihn berichtet. Im Endeffekt ist er ein einstiger Star, der sich nicht mehr beachtet fühlt. Er braucht offensichtlich wieder etwas, um im Rampenlicht zu stehen. Jeder kann machen, was er will. Dass er nach Nordkorea fährt, sollte aber kein Thema sein. Thema sollte sein, wer es aus Nordkorea hinausschafft.

derStandard.at: Wissen die Nordkoreaner, wie abgeschottet sie vom Rest der Welt sind?

Faccio: Die, die im Ausland gelebt haben, ja. Die anderen aber nicht. Zum Beispiel hat eine meiner Begleiterinnen einmal gefragt, warum Italien ein Entwicklungsland ist. Da fällt schon auf, wie sehr das Wissen fehlt. Sie glauben, dass es den Leuten über der Grenze und im Rest der Welt noch schlechter geht. Warum sollen sie also etwas ändern, wenn es draußen noch schlimmer ist.

derStandard.at: Sie haben Nordkorea bisher sechsmal besucht. Hat sich über die Jahre hinweg etwas geändert? Spürt man eine leichte Öffnung?

Faccio: Dass in den nordkoreanischen Medien ein Amerikaner (Rodman, Anm.) mit Kim Jong-un gezeigt wird, ist schon eine kulturelle Revolution. Er wird als amerikanischer Freund dargestellt. Das ist ein großer Schritt. Man muss bedenken, dass Nordkorea ein Land ist, wo solche Prozesse sehr langsam vor sich gehen.

Die Hinrichtung von Kim Jong-uns Onkel ist ebenfalls ein Zeichen, dass etwas im Land passiert. Man weiß nicht, ob in positiver oder negativer Hinsicht. Aber dass die alten Garden von den Machtpositionen entfernt werden, könnte auch ein positives Zeichen sein. Könnte.

derStandard.at: Die Hinrichtung sehen Sie nicht als Machtdemonstration, die die Unberechenbarkeit der Führung noch untermauern soll?

Faccio: Auch ganz normale Bürger werden in Nordkorea hingerichtet. Warum soll man sich also um diese eine Hinrichtung kümmern? Jang Sung-taek war der Joseph Goebbels von Nordkorea. Wenn Goebbels gehängt wird, habe ich auch kein Mitleid. Sondern dann, wenn ein normaler Bauer hingerichtet wird.

derStandard.at: Sie selbst haben auch schon in Pjöngjang eine Fotoausstellung organisiert. Wie war dort die Reaktion der Nordkoreaner?

Faccio: Sehr positiv. Sie legen sehr viel Wert auf Kultur und Kulturaustausch. Natürlich war das eine organisierte "Show". Aber wenn man bedenkt, dass die Nordkoreaner von draußen nicht viel mitbekommen und man dort Bilder aus Wien zeigt, die eben nicht ich gemacht habe, sondern nordkoreanische Studenten, dann ist das positiv. Es konnte dort zum Beispiel auch ein Foto der UNO-City ausgestellt werden. Ich arbeite daran, dass wir noch einmal so etwas machen können.

derStandard.at: Wie viel Fotomaterial haben die nordkoreanischen Behörden während Ihrer Aufenthalte beschlagnahmt?

Faccio: Keines. Wenn ich in Pjöngjang bin, trage ich nicht nur die Verantwortung für mich selbst, sondern auch für die Leute, die mich begleiten. Und meine Pressefreiheit endet, wo das Leben von jemand anderem anfängt. Ich kann keine super Bilder schießen, wenn die Gefahr besteht, dass mein Aufpasser dann ein Problem kriegen könnte. Das kann ich mir nicht leisten. Das brauche ich aber auch gar nicht, denn die Augen der Menschen in Nordkorea sprechen für sich. Man sieht es in ihren Augen, dass die Leute traurig sind. Das kann man auch nicht zensurieren.

derStandard.at: Wenn Sie in Nordkorea sind, begleiten Sie dort immer dieselben Aufpasser? Kennt man Sie schon?

Faccio: Ja, ich habe sogar einmal eine Postkarte bekommen aus Pjöngjang. Meine Dolmetscherin hat mir geschrieben: Geburtstagsgrüße nach Wien, deine kleine Schwester aus Pjöngjang. Freundschaften mit Nordkoreanern zu schließen ist möglich. Es ist das, was die Menschen in solchen Ländern am meisten brauchen. Nicht die Verachtung für ein politisches System, das sie selbst gar nicht ausgewählt haben. Respektiert zu werden so, wie sie sind. Deshalb konnte ich auch sechsmal dort hinfahren.

derStandard.at: Was ist das Skurrilste, was Sie in Nordkorea erlebt haben?

Faccio: Das Skurrilste habe ich nicht nur in Nordkorea, sondern in gewisser Weise auch in Südkorea erlebt. Ich wollte 2006 in Pjöngjang im Stadion bei einem Frauenfußball-Match fotografieren. Das wurde mir zunächst verboten. Mit der Begründung, dass der Rasen nicht so schön ist. Ich bin dann nicht mit der Reisegruppe ins Stadion, sondern wollte mit der Kamera in die Stadt marschieren. Sie sind mir dann nachgelaufen, und plötzlich durfte ich doch Fotos im Stadion machen. In Seoul war es dasselbe. Ich gehe ins Stadion, will fotografieren. Plötzlich greifen mich zwei Aufpasser an.

Man findet dieselben Dinge in beiden Ländern. Was das nordkoreanische Regime durch seine Politik macht, das machen im Kleineren südkoreanische Firmen wie Samsung mit ihren Mitarbeitern. Das ist auch eine Ähnlichkeit. Es ist wirklich bedenklich, wie solche Firmen mit ihren Mitarbeitern umgehen. Und das im Süden, in einer Demokratie, wo die Menschenrechte respektiert werden. Ein weiteres Beispiel: In Nordkorea werden die Medien vom politischen System kontrolliert, in Südkorea ist das aber auch der Fall. In Seoul gab es Anfang September 2013 große Demonstrationen gegen die Präsidentin, die in einen Korruptionsskandal involviert ist. 40.000 Menschen waren auf der Straße. Es gab kein Wort dazu in den Medien. Nicht im Fernsehen, nicht in der Zeitung. Übrigens stammt die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye ebenso wie Kim Jong-un aus einer Dikatorenfamilie. Ich will Nordkorea nicht verteidigen, es gibt natürlich einen Riesenunterschied. Trotzdem laufen viele Dinge sehr ähnlich ab. (Teresa Eder, derStandard.at, 21.1.2014)