Wenn Ärzte demonstrieren, dann ist die (standes)politische Gemengelage meistens diffus. Die Aufgeregtheit in Weiß setzt sich zusammen aus einem Fünkchen Wahrheit, aus den schlimmsten daraus abzuleitenden Horrorszenarien und aus (legitimen) Ärzteinteressen, die für die Öffentlichkeit zwecks leichterer Verdaubarkeit als Patienteninteressen dargestellt werden.

Wenn am Dienstag die Ärzte des Wiener AKH auf die Straße gehen, dann geht es auf den ersten Blick um ein ganz konkretes Anliegen, nämlich um die Streichung von Journal-Nachtdiensten, wegen der die Ärzte die Versorgung in Österreichs größtem Krankenhaus als gefährdet betrachten. Ebenso wie bei den jüngst vom Rechnungshof angeprangerten Kostenüberschreitungen steckt dahinter ein Problem, das unlösbar scheint: Das AKH ist ein einziges Kompetenzchaos. Das Gesundheitsministerium, das Wissenschaftsministerium, die Wiener Stadtregierung und der Krankenanstaltenverbund, die Medizin-Uni, die Ärztekammer - sie alle haben mehr oder weniger mitzureden. Da nützt es nichts, wenn die (Wiener) Opposition in schöner Regelmäßigkeit den Rücktritt verschiedener Verantwortlicher fordert, das AKH bleibt ein unsteuerbarer Tanker, der immer wieder einen Eisberg rammt.

Zum Glück spielt sich Gesundheitspolitik aber auch außerhalb des neunten Wiener Bezirkes ab. Und mit den Papieren, die so schöne Namen wie "Bundeszielsteuerungsvertrag" haben, ist man tatsächlich auf einem guten Weg, den einen oder anderen strukturellen Irrsinn zu beseitigen. Es schien lange unvorstellbar, dass sich die Krankenkassen bei ihren Stellenplänen etwas dreinreden lassen oder dass sich die Länder bei der Planung von Krankenhäusern mit anderen Stakeholdern abstimmen müssen. Aber genau das passiert nun. Jeder hat ein bisschen nachgegeben, und doch fühlen sich alle als Gewinner.

Wenn tatsächlich gelingt, was in besagten Papieren steht, dann könnte es in Österreich bald Arztpraxen geben, die ganz regulär am Abend oder am Wochenende geöffnet haben. Oder medizinische Zentren für Diabetes- oder Demenzkranke, in denen Krankenpfleger, Fachärzte und Sozialarbeiter gemeinsam tätig sind. Die Ambulanzen könnten jenen vorbehalten sein, die ein akutes Leiden haben, was das Leben von Patienten und Ärzten ungemein erleichtern würde. Kleine Eingriffe könnten in Tageskliniken erledigt, die Krankenhaustage damit reduziert werden. Und auch wenn es gar nicht populär ist, im Gesundheitssystem zu sparen oder (genauer gesagt) den Kostenanstieg zu dämpfen: Viele der Reformvorhaben klingen wie aus dem Programm eines Wunschkonzerts für Gesundheitsökonomen.

Bleibt das Thema Prävention, an dessen stiefmütterlicher Behandlung sich wenig geändert hat. Es gibt nun zwar ein wenig mehr Geld dafür, die großen Konzepte fehlen aber - siehe Rauchen, Bewegung, Alkohol, alles Kategorien, in denen die Österreicher nicht gut abschneiden. Sie haben weniger gesunde Lebensjahre vor sich als viele andere Europäer, die Schere zur Lebenserwartung geht auf. Auch das ist letztlich ein finanzielles Thema: Wer nicht krank ist, kostet (fast) nichts, so einfach ist das.

2013 war das Jahr der Verhandlungen und Papiere, 2014 müssen die Reformer faktische Zeugnisse ablegen. Und wenn sie schon dabei sind: Es wäre höchste Zeit für einen Systemwechsel im AKH. (Andrea Heigl, DER STANDARD, 21.1.2014)