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Botenstoffe in der Blutbahn halten das System aufrecht.

Foto: 3d4Medical.com/Corbis

Ohne sie würden wir nicht überleben. Die Blutgerinnung, unter Medizinern auch als Hämostase bekannt, beugt im Verletzungsfall einem Blutverlust vor. Es ist ein hochkomplexer Vorgang, an dem einerseits die Thrombozyten, Blutplättchen, und gleichzeitig eine Reihe von Botenstoffen, die Gerinnungsfaktoren, beteiligt sind. Letztere lösen über die sogenannte Gerinnungskaskade die Bildung von Fibrinfasern aus, welche den dichten Wundverschluss gewährleisten.

Faktor für Faktor

Um den ungehinderten Blutfluss innerhalb des Körpers zu sichern, muss die Gerinnungskaskade im Normalfall deaktiviert bleiben. Gerinnungsfaktor V, Proaccelerin, wird deshalb in der Blutbahn vom aktivierten Protein C (APC) gespalten und die Reaktionskette unterbrochen.

Bei manchen Menschen jedoch führt ein genetischer Defekt zu einer Strukturveränderung des Proaccelerin-Moleküls. APC kann dadurch nicht mehr angreifen und Faktor V ausschalten. Das Blut der Betroffenen neigt zu Spontangerinnung, es kommt leicht zur Bildung von venösen Thromben. Eine riskante Veranlagung. Die für die Störung verantwortliche Mutation an Position 1691 auf Chromosom 5 wurde 1994 von niederländischen Forschern entdeckt und nach ihrer Universitätsstadt benannt: Faktor V Leiden.

DNA-Fehler

Der Erbgutfehler ist weit verbreitet. "In der mitteleuropäischen Bevölkerung sind rund zehn Prozent heterozygote Faktor- V-Leiden-Träger" , erklärt Florian Prüller, Facharzt an der Med-Uni Graz. Bei diesen Personen ist nur eine der beiden Kopien des Faktor-V-Gens schadhaft, der zweite jedoch intakt. Damit lässt sich die Proaccelerin-Aktivität zumindest teilweise normal steuern. Homozygote Träger dagegen verfügen ausschließlich über APC-resistente Faktor-V-Moleküle. Ihr Thrombose-Risiko ist hoch.

Die Resistenz gegen APC kann über eine Blutprobe ermittelt werden, ebenso wie die Anwesenheit der Faktor-V-Leiden-Mutation. Solche Tests sind vor allem dann ratsam, wenn in einer Familie gehäuft Thrombosen aufgetreten sind. Der behandelnde Arzt kann dann vorbeugende Maßnahmen treffen.

Einige Unschärfen

In seltenen Fällen stimmen die Ergebnisse der beiden Untersuchungsverfahren gleichwohl nicht ganz überein. Die Blutgerinnung verhält sich so, als wäre der Patient homozygot, aber im Gentest wird nur eine einzige an Position 1691 mutierte Kopie nachgewiesen. Das angeblich intakte Faktor-V-Gen ist an einer anderen Stelle defekt. Infolgedessen kommt die Produktion von APC-regulierbarem Proaccelerin zum Erliegen. "Diese Phänomene sind seit vielen Jahren bekannt und von der wissenschaftlichen Welt akzeptiert", sagt Florian Prüller.

Es gibt allerdings noch eine weitere Besonderheit. Der Gentest weist manchmal Faktor V Leiden nach, ohne dass eine erhöhte APC-Resistenz vorliegt. Der Patient verfügt über eine normale Gerinnung. Die Ursache für diese Diskrepanz haben Prüller und seine Grazer Kollegen im vergangenen Sommer aufgespürt.

Neue Erkenntnis

Bei einer jungen Frau und drei ihrer Verwandten fanden sie eine weitere, bislang unbekannte Mutation an Position 5326 im Faktor-V-Gen. Diese bewirkt ebenfalls einen Abbruch der Proaccelerin-Synthese, diesmal allerdings der schadhaften Molekülvariante. Die regulierbare Version wird über die zweite, gesunde Genkopie produziert. Die Experten tauften ihre Entdeckung auf den Namen Faktor V Graz. Eine detaillierte Beschreibung wurden im Fachblatt "British Journal of Haematology" (Bd. 163, S. 404) veröffentlicht.

Faktor V Graz, meint Florian Prüller, ist vermutlich nur eine von verschiedenen möglichen Mutationen im Proaccelerin-Gen. Deshalb sollten Ärzte bei potenziellen Risikopatienten immer zuerst deren konkrete APC-Resistenz testen. Nur so lässt sich das individuelle Thromboserisiko präzise einschätzen. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 21.1.2014)