Manchmal kommt es eben anders. Und vielleicht steckt eh Sinn dahinter: Den Tokio-Druck ersetzt Zeit, diversen Wehwehchen endlich auf den Grund zu gehen - und Ausgleichssport. Außerdem: Hin und wieder ist ein Schritt zurück auch gut. Diesmal eben zum Bewegungslevel von Otto Normalverbraucher

Natürlich nervt so was. Sehr sogar. Andererseits hat so eine Absage auch Gutes: Ob da bei einem Start in Tokio ohne echte Vorbereitung nicht doch ein paar Überraschungen zu viel aus dem Nichts gekommen wären, war schlicht nicht absehbar.

Trotzdem: Dass meine Anmeldung für den Marathon in Japan irgendwo im Datennirvana zwischen Wien und Tokio verschwunden ist, ist ärgerlich. Doch das nimmt den Druck aus dem Training. Denn in vier Wochen nur ansatzweise Marathonreife zu erreichen hätte - und hat - alles andere überlagert.

Foto: Thomas Rottenberg

Privat sowieso. Auch sportlich. Und gesundheitlich: Eine klitzekleine falsche Bewegung beim Bouldern erinnerte mich letzte Woche überdeutlich daran, dass ein Knie auf eine genauere Untersuchung wartet. Da weiter drüberzulaufen: nicht schlau.

Und weil das Rennrad schon Staub ansetzt, waren Wetterbericht und der Blick aus dem Fenster vergangenen Sonntag vielversprechend: Frühlingswetter in Ostösterreich. Na dann ...

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Blöderweise hielt sich das Wetter weder an die Prognose noch an den ersten Anschein. In Wien war zwar alles Sonne und Wonne - aber ab Greifenstein war da außer Nebel nur Nebel. In Tulln war nicht einmal mehr der Fluss unter der Brücke zu sehen. Blindflug im Nebel. Im Jänner. Ein "First".

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Normalerweise sieht man am Donauradweg nicht nur kilometerweit nach vorne, sondern kann sich auch mit den Radfahrern am anderen Ufer ein bisserl matchen: Wenn man gleich schnell ist, trifft man sich auf irgendeiner Brücke und sagt Hallo. Das motiviert. Heute nicht. Dass da im Nebel trotzdem viele Kollegen unterwegs waren, bewiesen lediglich ...

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... regelmäßig aus der Suppe auftauchende entgegenkommende Radfahrer. Und dieser - der einzige - Fahrer, der im Nebel vor mir schemenhaft auftauchte und den ich knapp vor Tulln einholte: Ohne Sicht auf andere fährt man halt deutlich gemütlicher - das merkten wir beide, als wir miteinander unterwegs waren und ohne es zu wollen, wirklich schneller wurden. Obwohl ich kein guter und wir beide keine versierten Straßenradfahrer sind: "Ich bin eigentlich Langläufer - aber heuer noch keinen Meter gefahren." Die Frage, ob das nur Wetter oder schon Klima sei, blieb offen: "Es ist, wie es ist - machen wir das Beste draus."

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Das mit dem dem Nebel glaubt mir eh keiner: Am Rückweg riss die Suppe genau dort auf, wo sie flussaufwärts begonnen hatte: bei Greifenstein. Plötzlich war Frühling - und hätte mir der Föhn nicht heftig entgegengeblasen, wäre der Ausflug eine reine Spazierfahrt geblieben. Eine, auf die ich auch Leute wie S. hätte mitnehmen können. Der beschwerte sich nämlich unlängst, dass hier ein Aktivitätslevel gepredigt werde, das ihm - und anderen - "fast schon Angst macht: Wenn du Leute vom Sofa hochkriegen willst, musst du echt niederschwelliger ansetzen."

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So sei es. Obwohl S. mich verflucht hatte, als ich ihm das Dingsbums, das mir Julia Fuchs Mitte Dezember zum Testen überreicht hatte, in die Hand drückte. S. ist so alt wie ich, hat eine kleine Hightech-Firma mit 15 Mitarbeitern, steht auf Online-Klimbim und fast alles, wo man Apps implementieren kann. Außerdem wiegt er, bei gleicher Körpergröße, mindestens 15 Kilo mehr als ich.

Fuchs arbeitet beim finnischen Fitnesscomputerhersteller Polar. Und als wir unlängst über das Dilemma, dass viele Leute (im übertragenen Sinn) mit Formel-1-Boliden zum Supermarkt einkaufen fahren, plauderten, reichte sie mir das Dingsbums. Einen Schrittzähler. "Aber der da kann mehr. Probier ihn einfach aus. Es gibt auch eine Onlineplattform und eine App."

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"Loop" ist wirklich ein niederschwelliges Gerät: Es zählt Schritte, berechnet den (In-etwa-)Kalorienverbrauch - und sagt und zeigt dem Träger, ob die heutige Sitz- oder Bewegungsintensität annähernd dem entspricht, was der Körper braucht. Oder brauchen würde. Und zwar WIRKLICH niederschwellig: Sowohl die Online-Applikation als auch das Display am unauffälligen schwarzen Armband sagten mir meist schon am frühen Nachmittag, dass ich das Tagessoll erreicht hatte. Obwohl ich das Ding beim Training nicht trug.

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Also bekam S. das Teil. Er verfluchte mich noch am gleichen Tag. Zuerst per Mail, dann am Telefon - und am Abend persönlich: Dass er zu viel sitzt, zu viel isst und auch sonst zu bequem geworden ist, sehe er zwar im Spiegel, an den Kleidergrößen und der Waage (auf die er deshalb nicht steige) - aber "mit dem Stellwagen ins Gesicht" hätte er diese Wahrheit nicht gebraucht. Auf mehr als 60 Prozent des Tagessoll komme er nicht.

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Und dass ihm dieses vermaledeite Teil auch noch vorrechne, wie lange er eigentlich noch laufen, gehen oder zumindest nicht sitzen sollte, wolle er gar nicht. Das Ding schlage ja sogar zwischendurch Alarm, wenn er zu lange sitze - "unerträglich!". Doch statt das Ding wegzulegen, schaltete S. auf stur: Drei Tage später kam eine SMS. "Hab den Trick raus: Treppe statt Lift. Das bringt 80! Ich besorg mir jetzt den Pulsmesser für das Teil. Aber: Hättest das mit der Treppe nicht vorher verraten können?"

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Nö. Aber ich bin Optimist: S. wird auch rauskriegen, wie er auf 100 Prozent kommt. Niederschwellig - und so, dass er merkt, dass das die Untergrenze ist. Weil danach der Spaß beginnt. Wieso ich das weiß?

Nun: S. ist nicht der Einzige, der mit einem Dingsbums herumrennt. Denn Julia Fuchs ist nicht die Einzige, die solche Geräte im Portfolio hat. Auf einer der letzten Laufrunden meiner Gruppe lief M. mit. Zum ersten Mal. Früher, sagte er, sei er "eh recht fit" gewesen. Aber das sei eben früher gewesen.

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M. ist wie S. - minus 20 Jahre. Aber Job und Office beginnen auch bei M. schon die nachhaltigen Spuren der "Sesshaftigkeit" des Online-Addicts sichtbar werden zu lassen. Irgendjemand hat M. aber eine Schrittzähler-App aufs Smartphone geladen (den "Pedometer" von Runtastic). Dann kam das "Fuel Band" von Nike - und nun sei er bei "Jawbone" gelandet: Die Teile können zwar unterschiedlich viel, die Grundfunktion ist aber bei allen gleich: Schritte zählen - und sagen, wo man steht. Oder sitzt. Direkt, ehrlich und niederschwellig. Und mit Motvationspotenzial: M. will im Frühjahr einen Halbmarathon schaffen. Congrats. Und Mazel tov. 

Nur eines können weder die Gadgets noch die an ihnen dranhängenden Apps oder Onlinecommunitys: Den Hintern hochkriegen muss doch jeder selbst. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 22.1.2013)

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