Der Minister war in seinem Element. Nachdem eine kleine Fraktion in der Ärztekammer, der Hausärzteverband, die Wiedereinführung der kurzzeitig unter Schwarz-Blau bestehenden Ambulanzgebühren gefordert hatte, gab Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) den Rächer der Enterbten. Eine "Bestrafung von Kranken" könne er sich nicht vorstellen. Und: Solche Gebühren seien "unsozial“.

Nun: Der Minister hat Recht, zumindest auf den ersten Blick. Ambulanzgebühren sind tatsächlich nicht die Lösung für ein virulentes und mittlerweile die Balance im heimischen Gesundheitswesen gefährdendes Problem: Alles rennt in die (teure) Ambulanz, die (sehr gut und günstig) arbeitende niedergelassene Ärzteschaft bleibt übrig. Dafür allerdings die Patienten zu bestrafen, ist unfair. Manche mögen es aufgrund der Erfahrungen in ihren Herkunftsländern gewohnt sein, gleich in die Ambulanz zu laufen. Andere mögen beklagen, dass sie zu wenige und zu wenig lang geöffnete Arztpraxen vorfinden. Das Resultat ist jedenfalls unbefriedigend: Alle haben den Blues.

Wer aber ist für die ungesunde Entwicklung verantwortlich?

Von Politikern hört man gern: Leider sind zu wenige Praxen an Wochenenden und Tagesrandzeiten geöffnet, also bleibt den Patientinnen und Patienten nur der Gang in die Ambulanz. Der implizite Vorwurf: Ärztinnen und Ärzte sind faul und arbeiten zu wenig.

Dieses Ablenkungsmanöver darf man den politisch Zuständigen nicht durchgehen lassen. Es war nämlich die Gesundheitspolitik, die in den vergangenen Jahren die Zahl der Kassenstellen drastisch nach unten geschraubt hat, auch um so (angeblich) die Krankenkassen zu sanieren. Dass durch eben diese Kürzungen die Kosten im Spitalsbereich ungleich stärker in die Höhe schnellen, muss ja nicht gleich auffallen – so dass Kalkül der Politik.

Gemessen an der Versorgungsleistung des Jahres 2000 gingen österreichweit 1300 Arztstellen verloren. Allein in der Bundeshauptstadt fehlen mittlerweile 300 Kassenärzte. Das Rezept der Politik? Sie will gemeinsam mit der Gebietskrankenkasse weiter Stellen reduzieren. Und das, obwohl Wien in den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten um die Einwohnerzahl von Graz wachsen wird. Man braucht keine Kassandra, um hier weitere Verschlechterungen zu befürchten.

Lösungsansätze liegen auf der Hand. Der nimmermüde Hauptverbandspräsident Hansjörg Schelling etwa verweist angesichts der Ambulanzgebührendebatte darauf, dass Gruppenpraxen mit mehreren Ärztinnen und Ärzten entsprechend längere Öffnungszeiten garantieren können. Danke für den – sehr richtigen – Einwurf! Doch kurz zur Erinnerung: Es war die Ärzteschaft, die gegen den erbitterten Widerstand des Hauptverbands erst vor wenigen Jahren Gruppenpraxen in Wien mühsam durchgesetzt hat. Und heute preist sie Schelling als Lösung an?

Immerhin, möchte man meinen, die Sozialversicherung hat dazugelernt. Doch mitnichten. Derzeit stecken rund 90 Anträge von Ärztinnen und Ärzten auf Gruppenpraxen in der Pipeline – keine wurde von der Wiener Gebietskrankenkasse bisher bewilligt. Der Blues im Gesundheitswesen hat bemerkenswerte Interpreten.

Aber Schwamm drüber. Hauptverband, Minister und Gesundheitslandesräte lassen sich  gern feiern. Und zwar dann, wenn sie jetzt die richtige Entscheidung treffen: Um die Versorgung der Bevölkerung mit Kassenstellen wieder auf das notwendige Maß zu heben und die Ambulanzen zu entlasten, braucht es eine Maßnahme: Die Politik muss das von ihr seit zig Regierungsprogrammen mantraartig wiederholte, aber nie eingelöste Versprechen einer Verlagerung in den niedergelassenen Bereich endlich umsetzen.

Transferfonds

Der geeignete Schritt dazu ist die Schaffung eines Transferfonds an der Schnittstelle zwischen Bundesländern und Krankenkassen, zwischen Ambulanzen und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Das Prinzip: Das, was in den Ambulanzen an Angebot reduziert werden kann (einige Leistungen können tatsächlich nur dort angeboten werden), fließt zu einem Teil in den Aufbau des derzeit fehlenden niedergelassenen Angebots.

Warum nur zum Teil? Weil der Transferfonds auch sparen hilft. Während ein Patientenkontakt in einer Ambulanz im Schnitt 85 Euro kostet, liegt der Durchschnittswert bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten bei nur 25 Euro. Berücksichtigt man alle Auslagerungskosten und die in den Ambulanzen verbliebenen Leistungen, kann man nach seriösen Schätzungen gut ein Viertel der derzeit anfallenden 1,2 Milliarden Euro für die Ambulanzen einsparen. Eine Ambulanzgebühr wäre spätestens dann überflüssig. (Leserkommentar, Johannes Steinhart, derStandard.at, 20.1.2014)