In der Maß-Greißlerei kann der Kunde selbst aussuchen, wie viel er kaufen will.

Foto: Teresa Timler

Andrea Lunzer bietet ausschließlich unverpackte Ware an.

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Die Lebensmittel werden an der Kassa abgewogen.

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Ein Raum, in den man reingeht und statt bunt gestalteter Packungen nur Nahrungsmittel sieht. Das ist die grundlegende Idee, die Andrea Lunzer in ihrer Maß-Greißlerei in der Heinestraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk, nahe dem Praterstern, ab Samstag umsetzt. Nichts ist eingeschweißt oder vorportioniert. Der Käufer soll seine Entscheidung eigenständig treffen können und nicht mit dem Einkauf gleichzeitig Verpackungsmüll nach Hause tragen. Eine Greißlerei ist kein neues Konzept, sagt Lunzer, aber verändert wieder die Art, wie der Konsument heutzutage meist einkauft. "Jeder soll hier die Freiheit haben, so viel zu nehmen wie er braucht und möchte", sagt sie.

Ins neue Lebensmittelgeschäft kann man entweder mit seinem eigenen Behältnis kommen und es vor dem Einkauf abwiegen lassen oder dort Gefäße aus Glas in vier Größen erwerben. Für Essig und Öl gibt es ebenfalls Flaschen, auch schwarze, die für eine längere Haltbarkeit von Ölen sorgen. Für alle, die komplett "nackt" kommen, gibt es im Notfall Papiersackerl. Am Anfang werden 48 "rieselfähige" Produkte angeboten, also zum Beispiel Mehlsorten, Getreide, Reis oder Müslimischungen. Es wird 35 Sorten an Tees und Gewürzen geben und vier Sorten Öl und Essig werden zum selbst Abzapfen angeboten. "Auch Obst und Gemüse liegen unverpackt auf. Dabei ist es ja überhaupt am einfachsten, Verpackung zu vermeiden", sagt Lunzer.

Die Tochter von Bio-Bauern studierte Marketing, drei Jahre sammelte sie Erfahrung bei einer Bio-Eigenmarke eines großen österreichischen Supermarkts. Schon dort beschäftigte sie sich viel mit Verpackungen: "Es kam mir schon immer falsch vor, dass für jedes Bio-Produkt zwar ein eigener, strenger Standard entwickelt wird, aber dann wir es einfach in Plastik eingeschweißt." Die Neo-Geschäftsbesitzerin ist überzeugt, dass es viele Menschen zudem satt haben, dass der Müll bereits nach dem Einkauf - nur wegen der Verpackungen - voll ist: "Das gilt vermutlich auch für Menschen, die keinen Wert auf Bio legen. Es ist einfach nicht praktisch."

Verpackungsmüll steigt, wird jedoch öfter recycelt

Die Menge aller Verpackungen in Österreich aus Haushalten, Industrie und Gewerbe liegt laut Eurostat, dem statistischen Amt der EU, bei rund 1,2 Millionen Tonnen pro Jahr. Die Altstoff Recycling Austria AG, kurz ARA, sammelt davon rund 830.000 Tonnen jährlich, berichtet deren Sprecher Christian Mayer. Davon kämen rund 513.000 Tonnen aus Haushalten und rund 316.000 Tonnen aus Gewerbe und Industrie.

Davon waren unter anderem 79.229 Tonnen Papierverpackungen, 218.967 Tonnen Glasverpackungen, 177.268 Leichtverpackungen und 37.853 Tonnen Metallverpackungen, sagt Mayer. Die Recyclingrate bei Verpackungen lag 2012 bei rund 71 Prozent. Im Jahr 1993 lag sie gerade einmal bei 44 Prozent, berichtet der ARA-Mitarbeiter.

Verpackung und Image einer Marke

Am einfachsten lassen sich von der Industrie zur Abfallvermeidung durch Verpackungen meist Maßnahmen umsetzten, die direkt Kosten einsparen, sagt die deutsche Verpackungsexpertin Carolina Schweig. Dazu würden beispielsweise zählen, zu viel, zu breites oder zu dickes Packmaterial zu reduzieren. Wolle man allerdings zur Verbesserung der Recycelbarkeit auf Mehrschichtfolien-Verpackungen verzichten, beginnt eine wilde Rechnerei, ob ein starres Packmittel besser ist. "Man kann mit einer Verpackung 'nicht die ganze Welt retten' man muss sich auf bestimmte Aspekte konzentrieren", sagt Schweig.

Lebensmittelabfälle reduzieren

Bei der Abfallvermeidung gibt es jedoch nicht nur bei Verpackungen, sondern vor allem bei der Lebensmittelverschwendung großes Potential. Jährlich landen rund 157.000 Tonnen Lebensmittel im Müll. "Oft sind sie sogar noch originalverpackt und unverdorben", sagt ARA-Experte Mayer. Das sei nicht nur ein abfallwirtschaftliches Thema, sondern auch ein ethisches. "Gerade in diesem Bereich wäre es für Konsumenten einfach, Abfälle zu vermeiden ohne auf etwas verzichten zu müssen", sagt er. Um der Verschwendung von Lebensmitteln Einhalt zu gebieten, startete auch das Lebensministerium eine Initiative unter dem Motto "Lebensmittel sind kostbar". Ziel sei es, 20 Prozent weniger Lebensmittelabfälle im Restmüll bis zum Ende 2016 zu erreichen.

Ein Punkt, der auch Andrea Lunzer bei der Konzipierung ihrer Maß-Greißlerei wichtig war. Bei der Vermeidung von Lebensmittelabfall spielt einerseits die richtige Menge beim Kauf eine Rolle. Andererseits sollen die Kunden beraten werden, wie sie ihren Einkauf richtig aufbewahren. Die Verkäufer werden daher speziell zu diesem Thema geschult. Zusätzlich werden Informationsblätter zur Lagerung der unterschiedlichen Waren aufliegen. Lunzer nennt ein Beispiel: "Wenn man eine Käsefolie einmal aufreißt, ist sie ohnehin nicht wiederverschließbar und darunter leidet das Produkt. Viele Konsumenten geben den Käse dann in einen eigenen Behälter. Also warum nicht gleich mit diesem Behälter einkaufen gehen."

Nonnen-Klapptisch und 50er-Jahre-Werkzeugregal

Das Konzept der Wiederverwertung und Wertschätzung bereits vorhandener Materialien spiegelt sich auch in der Inneneinrichtung wider. Im vergangenen Sommer hat Lunzer die Inneneinrichtung auf Reisen zusammen gesammelt. Das Obst und Gemüse wird nun in Leinensäcken auf einem weiß gestrichenen Klapptisch aus dem Jahr 1850 präsentiert. Ursprünglich wurde er von Nonnen in einem Kloster verwendet, die darauf aßen. Nach dem Essen klappten sie die Seiten in die Höhe und darunter lagen die Handarbeiten.

Ein flaschengrüner Werkzeugkasten aus den 60er-Jahren wird das Öl und den Essig beherbergen. In den britischen Bücherregale aus den 20er-Jahren werden Getränke gelagert. Auch der Herd und der Geschirrspüler wurden gebraucht gekauft: Das spare nicht nur Geld, sondern auch Verpackung, sagt die Geschäftsbesitzerin.

Neben den Lebensmitteln gibt es ein Kaffeehaus mit 16 Plätzen. Auch dort soll das Konzept Entschleunigung und Verpackungsvermeidung dominieren, sagt sie: "Ich will ein bisschen das Gegenstück von Coffee-to-go sein." Wer trotzdem schnell weitermuss, kann wiederverwendbare Becher kaufen oder eigene Thermobecher mitbringen. Abseits von Lebensmitteln werden auch abzapfbare, biologisch abbaubare Reinigungsmittel verkauft.

Verpackungen und Hygienestandards

Und wie sieht es mit Hygienevorschriften aus, wenn die Lebensmittel nicht verpackt sind? "Das Marktamt habe ich ganz früh kontaktiert und alles abgeklärt", sagt Lunzer. Doch nur weil etwas verpackt ist, sei es nicht unbedingt sicherer, gibt sie zu bedenken: "Auch Verpackungen sind nie ganz dicht, Folien können reißen oder punktiert werden, etwa durch Fingernägel."

Doch wir Konsumenten würden oft schon früh darauf konditioniert werden, dass glatte Plastikoberflächen sauber sind. Dabei wird in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt durch Filme wie "Plastic Planet", immer mehr darüber diskutiert, dass Plastik über die Verpackung in unser System gelangen kann. "Da frage ich mich schon, was mir lieber ist: etwas Staub oder womöglich Bisphenol A in meiner Nahrung, das meinen Hormonhaushalt verändern kann", sagt Lunzer. (Julia Schilly, derStandard.at, 24.1.2014)