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Beeindruckt, dass bei der Sondervorstellung seines neuen Films "Das radikal Böse" 800 Jugendliche im Kinosaal "mucksmäuschenstill" geblieben sind: Filmregisseur Stefan Ruzowitzky.

Foto: apa/Jaeger

STANDARD: Während der Recherche für Ihren aktuellen Film haben Sie unzählige Feldpostbriefe und Gerichtsaussagen von NS-Soldaten gelesen. Hat Ihr Menschenbild darunter gelitten?

Ruzowitzky: Eigentlich nicht, weil ich ja schon gewusst habe, was für schreckliche Dinge da passiert sind. Mir hilft aber, wenn man Ansätze hat, wie man das begreifen kann. Dann fällt es mir persönlich leichter, damit umzugehen. Ganz erklärbar ist es ja immer noch nicht. Es geht nicht darum, dass es "das Böse" im Menschen gibt, sondern wir sind halt auf eine gewisse Art und Weise gestrickt, haben dieses Konformitätsstreben und diese Autoritätsgläubigkeit, die tief in uns drinnen sind. Das ist auch bis zu einem gewissen Grad notwendig, weil wir Gesellschaftswesen sind. Das Böse entsteht dann, wenn diese Schwäche von politisch zerstörerischen Kräften missbraucht wird. Nur von selber entlädt sich das nicht, und das ist auch die Moral des Films, dass man nicht erst ansetzen darf, wenn 500 Mann mit einem geladenen Gewehr dastehen, sondern jetzt: dass man auftritt gegen Politiker, die gegen Minderheiten hetzen.

STANDARD: Sind Deutsche oder Österreicher besonders konformistisch und autoritätsgläubig, also anfällig für politische Verführer?

Ruzowitzky: Das glaube ich nicht. Patrick Desbosis, der französische Priester und Genozidforscher, den ich auch für den Film interviewt habe, hat mir einmal gesagt, dass er es super fände, wenn das ein rein deutsches Problem wäre. Dann könnte man das eingrenzen und leichter damit umgehen. Nur leider findest du das überall und auch über alle Zeiten. Wobei ich schon glaube, dass es ein bisschen besser wird. Im Film sagt ein Soldat: "Ich habe ja mein Leben lang nichts anderes gelernt, als gegebenen Befehlen zu gehorchen" - und das ist zumindest heute kein Erziehungsideal mehr. Wir haben schon noch dieses Untertanendenken ziemlich tief in uns drinnen, aber wir versuchen wenigstens, uns davon wegzubewegen in Richtung mündiger Bürger.

STANDARD: Bekommen Sie mit, dass Schüler des Themas Zweiter Weltkrieg überdrüssig geworden sind?

Ruzowitzky: Allgemein gibt es diese Reaktion, und ich kenn das auch von mir, weil man einfach frustriert ist. Du erfährst von diesen schrecklichen Verbrechen, die damals passiert sind, und denkst dir: Was soll ich jetzt damit anfangen? Das ist zwar fürchterlich, aber ich kann jetzt nichts mehr daran ändern. Deswegen war es mir bei dem Film auch ganz wichtig, dass man stets den Bezug zur Gegenwart zeigt. Es geht darum, was jeder von uns jetzt und in der Zukunft tun kann - und nicht, dass man nochmal beklagt, was vor 70 Jahren passiert ist.

STANDARD: Uns irritierte, dass Sie Szenen über Massenerschießungen mit Techno-Beats unterlegt haben. Was war Ihre Intention?

Ruzowitzky: Nur weil es um den Holocaust geht, muss man sich nicht auf die altbackenen, tausendmal verwendeten Stilmittel beschränken. Ich finde diese Musik einfach die richtige: dieses treibende, technische, auch rauschhafte. Der Ansatz des Films war, dass er sehr subjektiv gestaltet ist, fast schon ein Pamphlet, bei dem ich mich nicht zurückziehe und scheinbar objektiv ein paar Dokumente hinstelle, sondern ganz bewusst und offen eingreife.

STANDARD: Letzte Woche haben Sie den Film bereits in Deutschland gezeigt. Gab es im Publikum unterschiedliche Reaktionen?

Ruzowitzky: Altersmäßig gab es Unterschiede. In Deutschland hatte ich oft 60-Jährige, die noch damit arbeiten, dass ihre Väter auf diese Nazisache reingefallen sind, und die eine Erklärung dafür suchen. Das scheint für diese Generation ganz wichtig zu sein. Und bei der jungen Generation fand ich super, dass es heute im Gartenbaukino mucksmäuschenstill war und auch alle nach der Vorstellung noch eine Dreiviertelstunde zur Podiumsdiskussion sitzengeblieben sind. Darauf war ich stolz. 800 Teenager im Kinosaal bei so einem Thema - das kann auch ordentlich in die Hose gehen.

STANDARD: Manche der Täter im Film waren nicht viel älter als das Publikum im Saal.

Ruzowitzky: Das ging quer durch, einige der Täter waren für Soldaten sogar überdurchschnittlich alt. Aber natürlich gab es auch sehr viele Junge. Aus der Psychologie weiß man, dass gerade in der Spätpubertät das Konformitätsstreben am höchsten ist. Meine Tochter ist 17, und das ist halt das Alter, in dem Mode wichtig ist, Musik, wo man versucht, mit seinen Freunden auf einer Ebene zu sein - während es einem später wurscht ist, was die anderen von einem denken. Das geht bis zu manchen Pensionisten, die völlig asozial werden. (lacht) Aber die sind natürlich auch weniger gefährdet, bei so einem Scheiß mitzumachen. Psychologisch ist eure Altersgruppe, was Konformitätsdenken betrifft, die gefährdetste.

STANDARD: Kommt von Ihnen in Zukunft noch etwas zum Zweiten Weltkrieg?

Ruzowitzky: Nach den Fälschern habe ich mir schon vorgenommen: Das war's für mich, weil ich mich jetzt auch nicht als Nazi- oder Holocaust-Regisseur festlegen möchte. Aber natürlich ist es ein sehr interessantes Thema, weil du den Menschen in seinen extremsten Ausformungen siehst. Ich habe jetzt auch wieder ein anderes Projekt, da geht's zwar nicht direkt um Nazis, aber um deren Auswirkungen - also in gewisser Hinsicht dann doch wieder. Ich tue mein Bestes, dass ich davon wegkomme, aber ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird. (lacht) (Daniel Pably und Fabian Kretschmer, DER STANDARD, 20.1.2014)