Dienstags im Parlament, am Mittwoch im Kinderzimmer: Politiker und ihr Bemühen, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Illu: Maria von Usslar
Illu: Maria von Usslar

Andreas Khol hat es bereits hinter sich: Sein jüngster Sohn ist heute 34 Jahre alt und er selbst ist zwar noch als Chef des ÖVP-Seniorenbundes aktiv, zeitlich aber bei weitem flexibler als in seiner Zeit als aktiver Politiker. Wie Familie und sechs Kinder bei ihm zusammen gingen? Mangels "unelastischen Terminkalenders" sei die Zeit für Privates stets sehr begrenzt gewesen, es gab aber ein paar Gebote, darunter:Gemeinsam frühstücken, die Kinder in die Schule bringen und "wenn ein Kind angerufen hat, wurde immer durchgestellt".

Zeit mit Marie

Dem deutschen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel reicht das nicht. Jeden Mittwochnachmittag will sich der SPD-Chef künftig freihalten, ließ er dieser Tage wissen, um seine zweijährige Tochter Marie im niedersächsischen Goslar vom Kindergarten abzuholen. Es müsse auch in einem Politikerleben Phasen geben, in denen Zeit für Kinder, Partner oder Alltagsdinge wie Einkaufen sei. "Sonst kennen wir das normale Leben nicht mehr", sagte Gabriel – und sorgte damit für eine heftige Kontroverse.

Dabei ist Gabriel mit seinem Vereinbarkeitswunsch nicht alleine:Die neue deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist siebenfache Mutter und erledigt viel Aktenarbeit von zu Hause aus. Und auch die neue Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) erklärt, ihr Lebensmittelpunkt werde weiterhin Schwerin bleiben. Denn dort, 208 Kilometer von Berlin entfernt, geht ihr Sohn zur Schule und in den Hort. Folglich pendelt sie. Einer ihrer ersten Vorschläge im neuen Amt war auch eine 32-Stunden-Woche für junge Eltern. Die Wirtschaft protestierte umgehend, Kanzlerin Angela Merkel kassierte die Idee schnell.

Andere Sitzungskultur

Wolfgang Mazal, Leiter des Instituts für Familienforschung, versteht die Ansprüche von Gabriel und Co: "Das sollte eigentlich normal sein. Es gibt  auch viele Männer, die sich so eine Möglichkeit wünschen, in der Realität spielt es das aber nicht, weil die Arbeitswelt darauf nicht ausgerichtet ist." Er verweist auf Skandinavien, wo eine andere Akzeptanz in Sachen Tagesfreizeit herrsche: "Die Arbeitszeiten sind wesentlich flexibler und es gibt eine andere Sitzungskultur. Dort gilt ein Treffen am späten Nachmittag als unfein, bei uns glaubt man, damit die Wichtigkeit zu unterstreichen."

Grünen-Chefin Eva Glawischnig, Mutter von zwei Söhnen (4 und 7 Jahre alt), weiß darum: Viele Netzwerktreffen würden der Familie zum Opfer fallen, spontane Termine seien schwierig. Sie geht als Begleitperson bei Schulausflügen mit, alle Kindergarten- und Schultermine werden mit dem beruflichenKalender abgestimmt. "Wir wollen doch keine Politiker, die den Alltag nur aus dem Fernsehen kennen", sagt sie. Parteikollege Albert Steinhauser, Vater einer Tochter (13) und eines Sohnes (9), hat als Ziel Halbe-halbe definiert, räumt aber ein:  "Ich würde schwindeln, wenn ich jetzt behaupte, dass ich das als Abgeordneter auch tatsächlich schaffe. Ich versuche mich aber weitgehend an den familiären Alltagsverrichtungen zu beteiligen." Viele Abgeordnete gehen auch einem Beruf nach – was das Familienleben zusätzlich belastet.

Verwunderung

Auch ein Job plus Kind reicht, um ausgelastet zu sein. Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) erinnert sich an seine Zeit als alleinerziehender Vater einer damals 13-jährigen Tochter:"Ich habe lernen müssen, meinen Arbeitsalltag zu begrenzen." Als Gewerkschaftssekretär konnte er seine Zeit autonom gestalten. Selbstverständlich war das nicht:"Die Leute reagieren mit Verwunderung, wenn ich sage, ich bin für meine Tochter verantwortlich. Auch heute noch."

Gabriel habe der Gesellschaft einen guten Dienst erwiesen, indem er die Diskussion über Arbeitsbelastung neu angestoßen habe. Stöger:„Ich glaube, dass jeder Manager Freiräume braucht. Ob das jetzt der Sonntag ist, oder ein Mittwochnachmittag, das lässt sich organisieren." Jedes Unternehmen müsse sich damit auseinandersetzen – und nicht nur von Flexibilisierung reden.

"Am Limit"

Dass die Kluft zwischen Anspruch und Realität mitunter riesig wird, darf auch Neos-Chef Matthias Strolz, Vater von drei  Mädchen zwischen dreieinhalb und siebeneinhalb Jahren, immer wieder erfahren. Zuletzt gab es vor Weihnachten "eine Phase, wo wir am Limit waren". Wenn das der Fall ist, "nehme ich meinen Kalender und streiche Sachen heraus." Der Plan, sich einmal pro Woche für die Kinder freizuschaufeln, harrt noch seiner Umsetzung.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) hat sich für ihre  Tochter früher fixe Termine im Kalender eingetragen. Das Wichtigste aber war für sie, "immer erreichbar zu sein". Folglich war sie schon 1991 "mit einem riesigen Handy unterwegs". Für Gabriel hat Prammer Verständnis:"Man muss nicht immer und überall dabei sein."

Diese Erkenntnis hat sich noch nicht überall durchgesetzt, weiß  Mazal: "Die Arbeitszeiten sind nicht auf der Höhe der gesellschaftlichen Entwicklung. In den klassisch steinzeitlichen Unternehmen fehlt die Akzeptanz für Leute, die mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen." Er hofft auf einen Paradigmenwechsel, denn "es besteht die Gefahr, dass junge Menschen angesichts der starren Systeme kapitulieren im Bestreben, diese Wünsche umzusetzen".  (red, derStandard.at, 17.01.2014)