Vor ein paar Tagen führte ich ein anregendes Gespräch mit meinem Kollegen G. Wir sprachen über Gott und die Welt, und während wir über Gott und die Welt sprachen, flocht G. alle drei Minuten eine auskennerische Anspielung auf eine dieser hippen amerikanischen Superserien ein, wie sie seit geraumer Zeit in aller Munde sind. Ich fühlte mich so, als bekäme ich einen Eh-schon-wissen-Rippenstoß nach dem anderen verpasst.

Mit solchen Rippenstößen bekommt man es ständig zu tun. Es scheint so, als wäre es eine zivilisatorische Grundanforderung der Gegenwart, darüber informiert zu sein, was in der neunten Folge der dritten Staffel von Breaking Bad abgegangen ist, so wie man früher den letzten Godard oder Kubrick gesehen haben musste, um nicht als geistige Sumpfdotterblume zu gelten. Wer heute nicht weiß, in welchen Scherereien Don Draper steckt, könnte ebenso gut den Deppenausweis hervorziehen und sich als Ignorant der peinlichsten Sorte outen.

Es gibt momentan gefühlte drei Dutzend angesagte Serien zu je zehn Staffeln à zwanzig Folgen und einem zugehörigen Personal, mit dem man locker eine neue Kleinstadt besiedeln könnte. In diesem uferlosen Fernsehfiktionsdschungel den Überblick zu wahren, ist mitnichten ein Vergnügen, sondern ein Fulltimejob. Schleierhaft, wie das Leute, die noch andere Berufe haben, auf die Reihe bringen. Frönen sie dem nächtelangen Dauerglotzen? Oder haben sie es sich angewöhnt, beim Autowaschen oder Zähneputzen Homeland und House of Cards querzusehen?

Ich habe das Bei-den-geilen-TV-Serien-kenn-ich-mich-aus-wie-in-meiner-Hosentasche-Spiel anfänglich mitgespielt (60 Stunden The Wire etc.), jetzt fühle ich mich überfordert. Ich will nicht nur Serien sehen. Ich will auch sonst à jour bleiben. Ich will mir ein Bild über die klügsten Reformpläne der neuen Bundesregierung machen (gut, damit ist man schnell fertig) und mir im Klaren sein, mit welcher Actrice der französische Staatspräsident gerade in die Kiste hüpft (Julie Gayet, wenn ich mich nicht irre).

Wenn wir demnächst einmal zufällig miteinander ins Gespräch kommen sollten: Machen Sie bitte keine Anspielungen auf das Befinden von Nick Brody oder auf die jüngste Intrige von Frank Underwood. Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich habe nicht die geringste Ahnung, worum es geht. (Christoph Winder, Album, DER STANDARD, 18./19.1.2014)