Es wäre den Ägyptern und Ägypterinnen, die im Februar 2011 einen Autokraten stürzten und sich als Nächstes eine erratische Muslimbrüder-Herrschaft einhandelten, zutiefst vergönnt, durch die Annahme der neuen Verfassung wieder stabile Verhältnisse in ihrem Land herzustellen. Dass die Abstimmung keine Bewertung des Verfassungstextes war - der wenig Information über den zukünftigen politischen Weg enthält -, sondern ein Plebiszit über die neuen Machtverhältnisse und dessen prominentesten Vertreter, Armeechef Abdel Fattah al-Sisi, zeigen die Ergebnisse.

Die Wahlbeteiligung war besser als beim Referendum über die Muslimbrüder-Verfassung im Dezember 2012 und ungefähr gleich wie bei jenem über die Verfassungsänderungen nach demSturz Hosni Mubaraks im März 2011. Aber - so der Stand von Donnerstag - sie war auch wieder nicht so überwältigend, dass die hohe Zustimmungsrate mit einer Zustimmung der gesamten ägyptischen Bevölkerung gleichgesetzt werden kann. Die lokalen Unterschiede sind signifikant. Dass diese Informationen zur Verfügung stehen, gibt jedoch Hoffnung: Die Fakten wurden zumindest nicht massiv geschönt.

Die Ägypter wollen demnach die neue Ordnung - so wie sie im Jahr nach der Revolution die Islamisten wollten. Das heißt für das neue politische Establishment: Die Zustimmung ist erst einmal geborgt und muss noch abgesichert werden. Und dazu wird es auf lange Sicht nicht reichen, dass der strahlende Held, General al-Sisi, zum Präsidenten gemacht wird. Dazu bedarf es eines nationalen Dialog- und Versöhnungsprozesses.

Die Militärs, die in der neuen Verfassung ihre überragende Stellung bestätigt bekommen haben, könnten damit anfangen zu analysieren, was sie selbst 2011 dazu beigetragen haben, dass die Waage zugunsten der Islamisten - die bei den Parlamentswahlen im Winter 2011/2012 insgesamt auf 70 Prozent kamen - ausschlug. Die Islamisten wurden damals auch aus Protest gegen den Obersten Militärrat gewählt, der die Macht nicht abgeben wollte. Danach wollten die Muslimbrüder die Macht nicht teilen: Auf der Protestwelle gegen sie schwimmt nun die neue Ordnung. Und natürlich auf der Hoffnung nach Stabilität nach drei katastrophalen Jahren, nach denen Ägypten schlechter da steht als zuvor.

Im Moment scheinen die neuen Herren mit der Frage überfordert, wie mit den Muslimbrüdern umzugehen sei - außer sie zum Teufel zu wünschen, was nicht funktionieren wird. Aber ein Zugehen auf das dritte Lager wäre möglich und würde auch dem Ausland, das den Wählerwunsch einmal mehr zu respektieren hat - wie 2012 -, die Sache erleichtern.

Wie momentan mit Kritikern - viele davon absolut von jedem Verdacht frei, mit den Muslimbrüdern zu sympathisieren - umgegangen wird, ist eine Schande. Eine Werbung für ein Nein im Referendum war im Grunde nicht möglich, und das ist eine Erinnerung, dass zu wirklich freien Wahlen noch etwas anderes gehört als nur ein akzeptabler Wahlablauf.

Die Hoffnungen ruhen nun auf dem schwer einschätzbaren al-Sisi: dass er, wenn er sich wählen lässt, seine Amtszeit(en) dazu nützt, um einen demokratischen Übergang von oben zu dirigieren. Man weiß nicht einmal, ob er dazu wirklich stark genug ist - ohne Armee wäre er nichts. Ob er sich von ihr emanzipieren kann und will, bleibt zu sehen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 17.1.2014)