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Ein gemeinsamer Handelsraum bringt Wohlstand und Arbeitsplätze, sagen die Befürworter der Freihandelszone zwischen EU und USA. Der gemeinsame Markt führt zur Aufweichung europäischer Bürgerrechte, sagen die Kritiker.

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Dan Mullaney (links), TTIP-Chefverhandler der USA, mit Ignacio Garcia Bercero, seinem Konterpart auf EU-Seite, bei einer Pressekonferenz nach der ersten TTIP-Verhandlungsrunde im Juli 2013. 

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Garcia Bercero und Mullaney bei einer Pressekonferenz nach der zweiten TTIP-Verhandlungsrunde im November 2013.

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"Mehr über TTIP: Warum wird in einer Demokratie ein so weitreichendes Projekt hinter verschlossenen - natürlich nur für uns, denn die Lobbyisten mischen kräftig mit - Türen ausverhandelt?", fragt Poster Herr Gscheidl.

Das Einfache zuerst: Die Abkürzung TTIP steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership und bezeichnet ein geplantes Handelsabkommen zwischen den USA und der EU. Die ebenfalls gebräuchliche Abkürzung TAFTA (Transatlantic Free Trade Agreement) bezeichnet im Grunde dasselbe. Aber wer verhandelt da eigentlich worüber und warum steht dieses Abkommen zum Teil massiv in der Kritik? Im kommenden Abschnitt sollen Antworten auf die grundlegenden Fragen zum TTIP beantwortet werden.

Seit wann steht das TTIP auf der Agenda von USA und EU?

Die Idee einer Freihandelszone zwischen EU und USA ist nicht neu. Bereits seit den 1990er Jahren gab es immer wieder Versuche und erste Schritte ein solches zu verhandeln und auch zu beschließen. Obwohl ein ähnliches Abkommen, das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI), bereits Ende der 1990er Jahre scheiterte, blieb die Idee am Leben und wurde von Politikern dies- und jenseits des Atlantiks weiterverfolgt. Konkreter wurde es erstmals 2011 als der Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy und US-Präsident Barack Obama die Einsetzung der sogenannten High-Level Working Group on Jobs and Growth beschlossen. Auf höchster Ebene sind der belgische EU-Handelskommissar Karel De Gucht und der Handelsvertreter der USA Ron Kirk verantwortlich. Die konkreten Verhandlungen begannen im Juli 2013.

Welche Personen verhandeln das TTIP?

Das war lange eine nicht einfach zu beantwortende Frage. Die in Brüssel ansässige NGO Corporate Europe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Einfluss der Industrie auf die EU-Politik offen zu legen, brauchte mehrere Anläufe, um die Namen der Mitglieder der High-Level Working Group on Jobs and Growth herauszubekommen. Anfragen an die EU-Kommission, die sich auf das Recht der Informationsfreiheit beriefen, blieben unvollständig oder ausweichend. Erst als sich Corporate Europe an die US-Behörden wandte, erhielt die NGO eine klare Antwort. Das Dokument listet etwas mehr als zwei Dutzend hochrangige Beamte der EU-Kommission und der US-Regierung auf. Dan Mullaney ist der TTIP-Chefverhandler der USA, Ignacio Garcia Bercero seinen Konterpart auf EU-Seite. 

Worüber wird verhandelt?

Das ist eine der am schwierigsten und wahrscheinlich auch nicht zur Gänze zu beantwortenden Fragen. Noch gibt es keinen Text, der die bisherigen Ergebnisse zusammenfasst. Der aktuelle Verhandlungsstand ist nicht öffentlich zugänglich. Das ist allerdings bei Verhandlungen dieser Art auch nicht üblich. Grundsätzlich soll mit dem TTIP eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU entstehen, grob gesagt, geht es um den Abbau von Handelsbarrieren. Dabei geht es aber nicht um Zölle, die schon jetzt zwischen den beiden Wirtschaftsräumen sehr niedrig sind, sondern um sogenannte nichttarifäre Handelsbeschränkungen – also beispielsweise unterschiedliche Auflagen in bestimmten Bereichen, als Beispiel seien hier Konsumenten- und Datenschutz, Sicherheitsauflagen oder arbeitsrechtliche Bestimmungen genannt. Hier setzt auch die Kritik zahlreicher NGOs und Vertretern der Zivilgesellschaft am TTIP an.

Was befürchten die Kritiker konkret und was sagen die Befürworter zu den Vorwürfen?

Gegner des Abkommens erwarten, dass durch das TTIP eine Nivellierung nach unten in vielen Politikbereichen durchgesetzt würde. So könnten bestehende Regelungen als Handeshemmnis definiert und über diesen Umweg ausgehebelt werden. Es stünde demnach zu befürchten, dass es damit Einigungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geben würde. Besonders die Standards im Bezug auf Konsumentenschutz, Lebensmittelsicherheit, Klimapolitik oder Datenschutz, die in der EU strikter geregelt sind als in den USA, würden damit fallen oder zumindest niedriger werden. Ein Dorn im Auge ist den Kritikern auch die geplante Investor-Staats-Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS – Investor-to-State Dispute Settlement). Ein Schiedsgericht soll Unternehmen die Möglichkeit geben, Staaten auf Schadenersatz zu verklagen, wenn durch bestimmte Gesetze die Gewinnerwartungen der Unternehmen beeinträchtigt werden.

Die EU-Kommission bestreitet diese Vorwürfe. Vorschriften betreffend gentechnisch veränderter Lebensmittel beispielsweise wären nicht Gegenstand der Verhandlungen. Laut den Befürwortern des TTIP würde es bei den Verhandlungen lediglich darum gehen, bestehende, unterschiedliche Regelungen kompatibler zu machen. Auch bei der Frage der ISDS ist die Kommission anderer Ansicht: Das Schiedsgericht solle lediglich den Unternehmen die Sicherheit ihrer Investitionen garantieren – die Aushöhlung staatlicher Gesetze auf diesem Umweg sei nicht möglich. Mitte Jänner wurde bekannt, dass die Verhandlungen über das ISDS-Verfahren bis auf weiteres ausgesetzt werden sollen.

Warum verhandeln die USA und die EU überhaupt dieses Freihandelsabkommen?

Ein gemeinsamer Markt würde zu steigendem Wirtschaftswachstum und einer Zunahmen von Arbeitsplätzen führen, sagen die Befürworter. Die als wirtschaftsnah geltende Bertelsmann-Stiftung hat in einer Studie die makroökonomischen Effekte des Freihandelsabkommens eingeschätzt. Demnach würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in den USA um 13,4 Prozent steigen; das BIP in der EU um fünf Prozent. Außerdem würde die Arbeitslosenrate in den OECD-Ländern durchschnittlich um 0,45 Prozent sinken. Diese Berechnungen werden von Gegnern des Abkommens allerdings massiv kritisiert. Die Rechtsanwältin und globalisierungskritische Verbraucherschützerin Lori Wallach bezweifelt die Ergebnisse von Studien, die von einem positiven Effekt ausgehen. In einem Artikel für die "Le Monde Diplomatique" schreibt sie: "Den meisten bisherigen Prognosen liegt die Annahme zugrunde, dass Zollsenkungen stets eine starke Wirtschaftsdynamik auslösen - was empirisch längst widerlegt ist. Verzichtet man auf diese dubiose Annahme, dann - räumen die Autoren der Studie ein- schrumpft der potenzielle BIP-Zuwachs auf statistisch irrelevante 0,06 Prozent."

Wie lang wird verhandelt und wer muss dem fertigen Vertragswerk zustimmen?

Es ist kein konkreter Endpunkt für die Verhandlungen geplant. Bisher trafen sich die Delegationen der USA und der EU zu zwei Gesprächsrunden. Die erste fand im Juli in Washington statt. Zwar trübten damals die bekannt gewordenen Spionagevorwürfe der NSA in Europa ein wenig die Stimmung, ein Abbruch der Gespräche stand aber nie zur Debatte. Für die zweite Runde trafen sich die Verhandler im November in Brüssel. Das Treffen wäre schon für den Oktober geplant gewesen, musste aber wegen Stilllegung der US-Regierung – Stichwort Government Shutdown - ein Monat nach hinten verschoben werden.

Nach jeder Verhandlungsrunde gab es in Brüssel ein Treffen mit Mitgliedern von Interessensvertretern, also NGOs, Gewerkschaften, Umweltschutzorganisationen. Die Informationen über den Stand der Verhandlungen sind dabei im besten Fall kursorisch. Konkrete Verhandlungsergebnisse werden nicht veröffentlicht.

Sobald das TTIP fertig ausverhandelt ist, müssen auf Seite der EU erst der Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament darüber abstimmen. Auch in den USA braucht das Freihandelsabkommen die Zustimmung des US-Kongresses bevor es in Kraft treten kann. (Michaela Kampl, derStandard.at, 17.1.2014)