Die politische Aufmerksamkeit ist zu sehr auf die Mitte der Gesellschaft fokussiert - "dabei wird es am Rand der Gesellschaft brüchig", meint Michael Landau, Präsident der Caritas Wien, im Gespräch mit dem STANDARD. Das Problem: "Die österreichische Politik bekennt sich zwar auf EU-Ebene in den Nationalen Aktionsplänen (NAPs) zur Armutsprävention, diskutiert aber konkrete Reformen in einer verkürzten Perspektive." Das Resultat seien Maßnahmen "von erstaunlicher Härte, die die Ärmsten am schlimmsten treffen", wie etwa Kürzungen bei den Familienzuschlägen zum Arbeitslosengeld.

Landau kritisiert die "Schwammigkeit" der NAPs, deren jüngster Entwurf am Dienstag den Nationalrat passierte: "Es war schon ein Problem in der ersten Runde, dass die Pläne zur Armutsvermeidung wenig ambitioniert waren. Was gefehlt hat, sind konkrete Indikatoren zum Wie." Er fordert daher verbindliche "Maastricht-Kriterien" für den Sozialbereich, die "so klar definiert sind wie wirtschaftliche Ziele." Ein Land, das zu wenig zur Armutsbekämpfung tut, solle einen "blauen Brief" aus Brüssel bekommen.

Das "beste Mittel gegen Armut und soziale Ausgrenzung besteht darin, diese erst gar nicht entstehen zu lassen", meint Landau. Für Alleinerzieherinnen und ihre Kinder wäre eine Reform des Unterhaltsvorschuss-Gesetzes in diesem Sinn "ganz wichtig" - also "die Entkoppelung des Unterhaltsvorschusses vom Einkommen des Vaters". Denn derzeit gibt der Staat nur dann Unterhaltsvorschuss, wenn er eine Chance sieht, das Geld auch wieder zurückzubekommen vom Vater. Wenn beide Eltern nicht wohlhabend sind, bleiben die Mutter oder das Kind auf der Strecke, meint Landau. "Eine Reform wäre also ganz wichtig." Landau betont auch, dass Kinder aus armen Familien ein höheres Risiko haben, selbst armutsgefährdet zu sein. Denn "in der Schule können sie, wenn sie im Unterricht nicht gut mitkommen, das auch nicht sehr leicht aufholen - es gibt keine Förderungen für Nachhilfestunden." Auch existenzbedingter Stress und eine schlechte Ernährung schlage sich auf den Schulerfolg.

Der bloße Ruf nach dem Sozialstaat sei aber "so reizlos wie das Gegenteil": Der Schlüssel sei die Solidarität, denn: "Soziale Gerechtigkeit erschöpft sich nicht in der persönlichen Fürsorge." Es gehe nicht darum, Menschen lediglich finanzielle abzusichern - wie etwa die Sozialhilfe die Leute vor dem Verhungern bewahrt - sondern um das Recht auf Lebensperspektive.

Den Widerspruch zwischen Vision und Praxis mögen wohl Informationen von AMS-BeraterInnen bestätigen: Demnach werden Arbeitssuchende, die kein Geld vom AMS bekommen - etwa Schulabgänger oder Sozialhilfeempfänger - einen Tag vor dem Zähltag für die Statistik aus dem Computer genommen und danach wieder hineingestellt, sowie Kurse des Arbeitsmarktservice zu einem Stichtag begonnen. Dies würde die Zahl der ausgewiesenen Arbeitslosen senken. (Eva Stanzl, Irene Brickner, DER STANDARD Print-Ausgabe vom 14./15.8.2003)