Die ehemalige Sowjetrepublik Aserbaidschan geht, so scheint es, in die Geschichte ein. In allen asiatischen Nachfolgestaaten der einstigen Sowjetunion halten ehemalige Partei- oder Regierungschefs aus der Sowjet-Ära das Heft fest in der Hand. Bizarrer Personenkult und lückenlose Unterdrückung oppositioneller Regungen prägen das Bild.

All das stört weder die amerikanischen Militärstrategen noch die politischen Spitzen der meisten EU-Staaten, die aus wirtschaftlichen oder geopolitischen Gründen diese Machthaber hofieren. Doch ist das, was dieser Tage in Baku passiert, wohl einmalig in der Geschichte der exsowjetischen Länder. Außer dem Sonderfall Nordkorea ist bisher noch nirgends eine politische Erbfolgedynastie installiert worden.

Was Marx in seinem Buch "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" über den Staatsstreich von Dezember 1851 schrieb, gilt auch für die Umstände im ölreichen Land am Kaspischen Meer: "Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbst gewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen."

Man weiß zwar nicht, in welcher Klinik sich der schwer kranke Präsident Haidar Alijew aufhält. Doch ist die "Thronfolge" schon arrangiert: Alijews Sohn Ilham wurde zum Regierungschef gewählt und würde im Fall des Todes oder der Amtsunfähigkeit seines Vaters sozusagen automatisch Präsident.

Mit beneidenswerter Offenheit sagte der 41-jährige Sohn am letzten Parteitag der so genannten "Neuen Aserbaidschanischen Partei": "Wir werden immer an der Macht bleiben", und kürzlich fügte er hinzu: "Wir lassen es nicht zu, dass wieder Obsthändler ohne Ausbildung an die Macht kommen." Dieses Land - etwa so groß wie Österreich mit acht Millionen Einwohnern und unermesslichen Ölreserven - ist bereits seit Jahrzehnten fest in der Hand Alijews. Es gilt als einer der korruptesten Staaten in der Welt.

Westliche Kommentatoren, die dem Sohn vorwerfen, dass ihm das Charisma und das Durchsetzungsvermögen des heute 80-jährigen Vaters fehlen, wissen anscheinend wenig von der Rolle dieser schillernden Persönlichkeit während der Sowjetzeit. Seit dem 19. Lebensjahr bei dem gefürchteten sowjetischen Geheimdienst KGB tätig, war Alijew zuerst in den 60er-Jahren Chef des KGB und dann 16 Jahre lang allmächtiger Parteichef in der Republik. Ein Günstling Breschnjews, stieg er 1976 ins Politbüro auf, er spendete Breschnjew stets überschwängliches Lob, schenkte ihm einen Diamantring und rettete die Situation, als der greise Parteichef einen falschen Redetext verlesen wollte.

Dann arrangierte er sich mit den Nachfolgern und war als erster stellvertretender Ministerpräsident eine Schlüsselfigur bei der knappen Abstimmung zugunsten Gorbatschows im Politbüro. Dieser typische Vertreter der durch Filz und Korruption gekennzeichneten Sowjet-Ära wurde zwar 1987 aus "gesundheitlichen Gründen" in Moskau entmachtet, doch schaffte er bald die Rückeroberung der Macht als Präsident Aserbaidschans 1993.

Der Preis für die gepriesene, relative politische Stabilität war und ist die Knebelung der Medien und die Einschüchterung der Opposition. Dass der unbarmherzige KGB-Offizier nun durch den als Playboy bekannten Sohn in welcher Form immer abgelöst wird, mag für die internationalen Ölfirmen und die amerikanischen Militärs ein Unsicherheitsfaktor sein.

Für die vielgeprüften Menschen könnte aber der von Marx im zitierten Werk monierte Übergang von der "Tragödie" zur "Farce" am Beispiel der beiden Alijews möglicherweise mehr Freiraum bedeuten. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.8.2003)