"Mit Medienkunst kann man gut bluffen", der Unterschied zwischen technischer Spielerei und künstlerischer Intention ist zuweilen nicht leicht zu erkennen: Kritisch auch gegenüber seiner ureigensten Thematik zeigt sich der Leiter der Linzer Ars Electronica Centers, Gerfried Stocker, gegenüber der APA. Einen (virtuellen) Penisaufreger nach Salzburger Vorbild oder gar eine davon inspirierte Wiederauflage des "sperm race" aus dem Jahr 2000 werde es beim diesjährigen Festival nicht geben, versicherte Stocker lachend. "Kunst und Kommerz ist eine gefährliche Gratwanderung".

Die "wahrscheinlich größte Computertastatur der Welt"

Punkten will man im öffentlichen Raum mit der "wahrscheinlich größten Computertastatur der Welt", die das diesjährige Festivalthema, "Code", anspricht. An der Fassade der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung wird das Riesenkeyboard in Kletterwandgröße errichtet und höchst unterschiedliche Expertengruppen zur Zusammenarbeit animieren. Zwei "Kenntnis-Eliten", die Extrem-Sportler und die Programmierer, müssen beim "Teleklettergarten" kooperieren, um Code zu erschaffen, so Stocker. Das diesjährige Ars Electronica-Festival (6. bis 11. 9.) wird sich mit "Code" als universelle Sprache der Informationsgesellschaft auseinander setzen, mit der "Omnipotenz" dieser Technologie, die den Computer als Werkzeug "gleichermaßen für Business, Kriegsführung, Unterhaltung und Kunst einsetzbar macht".

Mit der Thematisierung des Codes und der durch diesen begründeten "Kommunikationskonventionen" greift man auf sprachphilosophische Diskurse des 20. Jahrhunderts zurück, bestätigte Stocker, setze diese jedoch in ein "aktuelles Licht". Ein großer Schwerpunkt gelte dem digitalen Code als neuem Werkstoff der Kunst. "Kunst wird nicht mehr einfach erschaffen, sondern programmiert". Dass die Medienkunst innerhalb der Nische "zeitgenössische Kunst" selbst noch ein Nischendasein führt, habe sicher auch den Grund, dass "diese oft sehr experimentell und damit nicht leicht konsumierbar" ist, meinte Stocker. Weiters herrsche auch "insbesondere in Österreich - wie man am Bildungsbereich sieht - eine allgemeine Skepsis den neuen Medien gegenüber. Die Österreicher sind an der digitalen Revolution nicht sehr interessiert".

"Gettoisierung"

Dass der Konsum von Medienkunst außergewöhnlich viel (technisches) Vorwissen voraussetzt, will Stocker nicht bestätigen. "Ein studierter Musiker wird eine Mozart-Oper auch ganz anders hören als ein Laie. Genießen können die Aufführung jedoch beide." Während "jedermann weiß, wie man sich in einer Galerie verhält", gebe es beim Konsum von computererzeugter Kunst "noch große Unsicherheit" beim Rezipienten. "Es wird noch einige Jahre dauern, bis beim breiteren Publikum die Hemmschwelle ganz abgebaut ist". Dennoch: Die "Gettoisierung" der Medienkunst ist vorüber, es hat eine "unheimliche Durchdringung" der traditionellen Kunstwelt durch die digitalen Kunsterzeugnisse gegeben, so Stocker. Dass der erste Hype der Internet-Boom-Jahre vorbei ist, habe zwar für einen Rückgang der in dieser Sparte künstlerisch Tätigen gesorgt. Dies sei jedoch "für den Kern der Szene ganz gut".

"Code" als Gesetz, Kunst und Leben

Die Ars Electronica sieht Stocker als Plattform der Diskussion auch der gesellschaftspolitischen Aspekte der technologischen Entwicklung. "Code" als Gesetz, Kunst und Leben wird in den Kunstprojekten, dem Symposium und den weiteren Begleitveranstaltungen debattiert. Die Programmierbarkeit des Lebens durch die Entschlüsselung des genetischen Codes etwa sei "keine Frage mehr des 'ob' oder des 'wann', sondern vor allem, unter welchen Rahmenbedingungen dies stattfinden wird. Ob diese noch etwas mit den humanistischen Ideen vom Staat zu tun haben werden". Das Konzept des Künstlers als Mahner sieht Stocker auch in Zeiten des Künstlerprogrammierers nicht als veraltet an. "Wenn dies so ist, dann gehört es dringend wieder belebt. Ich will den Künstler als aufgeklärte kritische Instanz der gesellschaftspolitischen Entwicklung nicht missen", so Stocker.(APA)