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"Die Erwartungshaltung 'Ich mach in eineinhalb Tagen alles fix, und drei Wochen später ist das Problem erledigt' hat niemand in dem Land", sagt ÖGB-Chef Erich Foglar.

Foto: AP/Punz

STANDARD: Ist das, was bei der Regierungsklausur in Waidhofen beschlossen wurde, aus Ihrer Sicht ausreichend?

Foglar: Das geht sicherlich in die richtige Richtung. Wenn man die Maßnahmen in Richtung der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit betrachtet, die Wachstum fördern und Beschäftigungsimpulse setzen wollen, dann ist das ebenso richtig wie die Förderung der Familien. Entscheidend ist, was dann tatsächlich gemacht wird – und das möglichst rasch. Denn wer rasch hilft, hilft doppelt und dreifach: Eine massive Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entlastet ja auch das Budget.

STANDARD: Aber konkrete Maßnahmen sind in Waidhofen nicht beschlossen worden.

Foglar: Ich glaube, das kann man innerhalb von eineinhalb Tagen auch nicht wirklich erwarten. Das kann man nicht so schnell im Detail machen, denn es geht darum, das legistisch umzusetzen und im Parlament zu beschließen.

STANDARD: Aber Zielrichtungen kann man festmachen?

Foglar: Das sehe ich schon: Wenn man zweimal 100 Millionen investiert, die rasch und zielgerichtet eingesetzt werden, kann das Impulse setzen. Niemand wird annehmen, dass man mit 200 Millionen die Arbeitslosigkeit wegbringt. Aber wenn man es richtig macht, die richtigen Impulse setzt, dann hat das die richtige Wirkung in den Betrieben, die richtigen Effekte im Export und, was die Zweckbindung der Wohnbauförderung betrifft, auch am Bau. Damit kann man sehr wohl die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Die Erwartungshaltung "Ich mach in eineinhalb Tagen alles fix, und drei Wochen später ist das Problem erledigt" hat niemand in dem Land.

STANDARD: Einer der wenigen konkreten Punkte in Waidhofen war die Ausbildungsverpflichtung bis zum 18. Lebensjahr, die 2016 kommen soll. Ist Österreich für dieses Projekt vorbereitet? Es ist ja derzeit schon so, dass viele Jugendliche keine Lehrstelle finden.

Foglar: Was wir jetzt schon haben, ist die Ausbildungsgarantie. Das heißt: Jeder junge Mensch hat einen Ausbildungsplatz garantiert, egal ob in der Lehre, in der Schule oder in einer überbetrieblichen Ausbildungseinrichtung. Worum es bei der Ausbildungsverpflichtung geht, sind jene jungen Menschen, die nicht den Weg in so eine Ausbildung finden oder finden wollen.

STANDARD: ... weil ihnen das Angebot vielleicht nicht zusagt?

Foglar: Da geht es uns darum, dass man eben nicht nur ein Angebot macht, sondern das auch massiv unterstützt. Also ganz bewusst sagt: Bis 18 musst du irgendeine Ausbildungsmaßnahme absolvieren, und dabei helfen wir dir.

STANDARD: Helfen klingt gut. So wie es aussieht, wird aber mit Strafen gedroht, was auch von der Gewerkschaftsjugend kritisiert wurde.

Foglar: Es ist gut, wenn man sich dafür noch etwas Zeit nimmt, das ist in der Umsetzung vielleicht nicht so einfach, wie die Zielsetzung klingt. Da gibt es viele, viele Aspekte, die man diskutieren und ausarbeiten muss. Ist das eine Zwangsmaßnahme - und wie weit geht die? -, was wohl keiner will.

Man muss das auch im Zusammenhang mit dem Pflichtschulabschluss sehen: Da geht es ja auch nicht darum, dass jemand neun Pflichtschuljahre irgendwo absitzt, sondern dass er oder sie einen Pflichtschulabschluss hat; es soll niemand aus der Schule kommen, der nicht in jenem Ausmaß lesen, rechnen und schreiben kann, das befähigt, eine Berufsausbildung zu beginnen. Das ist ja genau die Schwachstelle, wo die jungen Leute keine Aussicht auf einen Ausbildungsplatz haben. Ich glaube, um das vorzubereiten, braucht man Zeit, denn das ist leichter in ein Papierl geschrieben als in der Praxis umgesetzt.

STANDARD: Wenn derzeit bis zu 10.000 Jugendliche pro Jahrgang zu wenig motiviert sind, die bestehenden Ausbildungsangebote anzunehmen, muss man wahrscheinlich neue Angebote schaffen, etwa mehr überbetriebliche Lehrwerkstätten.

Foglar: Ja, genau um diese 8.000 bis 10.000 jungen Menschen geht es. Genau das ist der Punkt. Da geht es darum, dass die nicht die Schule verlassen, bloß weil sie das Pflichtschulalter erreicht haben. Sondern dass sie verpflichtet sind, eine andere Ausbildungsform zu suchen. Und die muss man ihnen auch bieten, ob über das Arbeitsmarktservice oder über andere Ausbildungseinrichtungen. Vor allem auch: dass sie gezielt herausfinden, was für jeden Einzelnen der richtige Beruf ist.

STANDARD: Man weiß aus Erfahrung, dass es oft männliche Jugendliche in der Pubertät sind, die das Lernen nicht mehr freut – die von der Schule genug haben, aber nicht wissen, was sie sonst tun sollen.

Foglar: Da haben Sie recht – aber es sind nicht nur die Burschen. Es gibt auch unter den weiblichen Jugendlichen bestimmte Gruppen, die es sehr schwer haben, eine Ausbildung zu beginnen.

STANDARD: Weil sie keine Lust haben oder weil sie von der Familie davon abgehalten werden?

Foglar: Beides. Es kommt vor, dass Mädchen lernen wollen, aber im Elternhaus damit nicht so einen leichten Stand haben, weil das vielleicht in bestimmten Kulturen nicht üblich ist, dass die Frau eine Ausbildung beginnt.

STANDARD: So wie es bei uns geheißen hat: Das Mädel soll mit 15 jetzt einmal in die Arbeit gehen und Geld verdienen?

Foglar: Weil man gemeint hat: Die braucht keine Ausbildung, denn die heiratet eh – die soll schauen, dass einen Mann kriegt! Diese Sichtweise ist halt leider in allen Kulturkreisen in bestimmten Schichten verbreitet. Aber genau um diese Gruppe geht es, die ist in unserem Fokus, weil wir glauben, dass junge Menschen ohne Ausbildung in Zukunft ganz schlechte Chancen haben, auf dem Arbeitsmarkt oder überhaupt in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Und da ist es ganz egal, ob das eine junge Frau oder ein junger Mann ist, dem die Eltern sagen: Du arbeitest am Bau und verdienst Geld. Das ist nicht mehr möglich, diese Arbeitsplätze gibt es in Zukunft nicht mehr. (Conrad Seidl, derStandard.at, 16.1.2014)