Waldrappe im Energiesparmodus: Britische und österreichische Forscher konnten erstmals zeigen, dass die Tiere in der V-Formation ihre Flügelschläge optimal synchronisieren.

Foto: Markus Unsöld

Wien/London - Es war der Film Amy und die Wildgänse, der den Tiroler Zoologen Johannes Fritz inspirierte, von Hand aufgezogenen Waldrappen beizubringen, in den Süden zu ziehen. Es funktionierte: Seit 2002 fliegen er und seine Kollegen mit einem motorisierten Paragleiter voraus - und geleiten wiederangesiedelte Gruppen der fast ausgestorbenen Zugvögel in ihr Winterquartier in der Toskana. Haben die Tiere einmal den Weg zurückgelegt, behalten sie die Route und geben sie an ihre Artgenossen weiter.

Genau diese Expertise des österreichischen Waldrappteams, das Brutkolonien in Österreich und Deutschland aufbaut, suchten Wissenschafter des Royal Veterinary College der University of London. Sie wollten endlich jene Hypothese auf den Prüfstand stellen, die davon ausgeht, dass Vögel deshalb in der V-Formation fliegen, weil sie so Energie sparen.

Das Forscherteam rund um Steve Portugal hatte nämlich so seine Zweifel, dass Vögel in der Lage sind, sich im V-Flug tatsächlich so präzise aufeinander abzustimmen, dass sie den Aufwind der voranfliegenden Vögel nutzen können. "Bisher lagen nur mathematische Modelle und Tests mit Attrappen in Windkanälen vor. Es gab keine empirischen Daten", erläutert Johannes Fritz im Gespräch mit dem STANDARD.


Quelle: Nature Video

Also statteten die Forscher 14 Waldrappe (Geronticus eremita) aus der Kinderstube von Johannes Fritz mit Messgeräten aus, die deren Position in der Gruppe sowie jeden einzelnen Flügelschlag aufzeichneten. Während zweier Messflüge von Anif nahe Salzburg Richtung Slowenien wurden insgesamt 43 Minuten Datenmaterial gesammelt.

Die im Fachmagazin "Nature" veröffentlichte Analyse zeigte: Die gänsegroßen Vögel aus der Familie der Ibisse verhielten sich exakt so, wie in der Theorie berechnet. In der V-Formation positionierten sie sich an der aerodynamisch optimalen Stelle und synchronisierten ihre Flügelschläge mit denen ihres Vorgängers, sodass sie den Aufwind, der durch dessen Flügelbewegungen entsteht, maximal ausnützen und dadurch die Kraftanstrengung reduzieren konnten.

Diffiziles Taktgefühl

Manchmal wechselten einzelne Vögel ihre Position und flogen für kurze Zeit direkt hinter einem anderen Vogel. In diesem Fall war der Flügelschlag exakt gegenläufig zu dem des Vorgängers getaktet - um die entstehenden Abwinde zu minimieren. "Die Studie liefert erstmals harte Fakten, dass die Vögel sehr diffizile Koordinationsfähigkeiten haben, um Energie zu sparen", sagt Fritz.

Bisher hielt man eine solche Präzision aufgrund der komplexen Flugdynamiken nicht für möglich. "Die Mechanismen der V-Formation deuten auf eine bemerkenswerte Fähigkeit hin, räumliche Strukturen von Luftströmungen entweder zu spüren oder vorherzusehen", fassen die Studienautoren zusammen.

Umso erstaunlicher ist dieses Gespür, als die handzahmen Jungvögel keinerlei Erfahrung mit einer längeren Reise, geschweige denn mit Formationsflügen hatten, und auch noch nie einen zugerfahrenen Vogel beobachten konnten, wie Fritz betont. Das weise darauf hin, dass es sich bei dem Energiesparmodus um einen "sehr basalen Mechanismus" handelt, der auch auf andere Zugvögel zutreffen dürfte.

Noch unklar ist, wie viel Energie Vögel in den hinteren Rängen wirklich sparen können. "Wenn sie nur zehn bis 20 Prozent weniger Energie verbrauchen, könnte das schon einen beträchtlichen Teil der enormen Leistungen erklären, die Zugvögel vollbringen", meint Fritz, "etwa wenn sie ohne Pause tausende Kilometer durchfliegen und Ozeane überqueren." (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 16.1.2014)