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Monetäre Selbsthilfeprojekte gab und gibt es in vielfältiger Form. Schon in den 1930er-Jahren wurden Nebengelder mit Warendeckung, aber
vielfach auch unterschiedliche Freigeldformen erprobt. So gesehen sind Bitcoin tatsächlich Dinosaurier.

Foto: AP/Leonhardt

2013 war das Jahr der Bitcoin, keine Frage. Seither ist die virtuelle Währung – zumindest was ihren Bekanntheitsgrad betrifft – keineswegs nur mehr eine Sache für Eingeweihte. Nicht nur, weil die Internetwährung sprunghafte Wertzuwächse und einige kräftige Abstürze zu verzeichnen hatte: Hierzulande und anderswo kommt sie mittlerweile auch zunehmend im Alltag zur Anwendung.

Die Alternativwährung ist dennoch ein Nischenphänomen. Derzeit finden laut dem deutschen Bundesbanker Carl-Ludwig Thiele täglich rund 70.000 Transaktionen mit Bitcoin weltweit statt. "Dies ist verschwindend gering, wenn wir uns vor Augen führen, dass allein in Deutschland pro Arbeitstag 24,6 Millionen Überweisungen und 35,2 Millionen Lastschriften getätigt werden", sagt Thiele dem deutschen "Handelsblatt".

Dennoch: Ganz so unbekümmert wie zu den Anfangszeiten der 2009 geschaffenen Währung geht es in Sachen Bitcoin nicht mehr zu. Die Europäische Bankenaufsicht und andere nationale Zentralbanken machen es sich immerhin zur Pflicht, vor den Risiken für die Nutzer – etwa Totalausfall bei einem Computercrash, hohe Wechselkursschwankungen zu echten Währungen, keine staatliche Garantien – zu warnen.

Währung mit Ablaufdatum

Geht es nach dem renommierten Historiker Stephen Mihm, dann ist der Währung ohnehin kein langes Leben beschieden: "Wer Bitcoin für ein gutes Investment hält, lebt in der Vergangenheit", so Mihm jüngst in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenportal Bloomberg. Die Währung sei "nichts weiter als ein alter Dinosaurier, der auch bald ausstirbt". Jahrelang, so der Historiker, seien die Regierungen dafür angetreten, alternative Währungen auszurotten. Und das schon im 19. Jahrhundert. "Das ist nichts, was sie nun so einfach wieder aufgeben." 

Ähnlich sieht das Gerhard Rösl, Professor an der Hochschule Regensburg. Der einst in der Deutschen Bundesbank für monetäre Analyse und Geldpolitik zuständige Volkswirt ortet im Gespräch mit derStandard.at wachsendes Potenzial an Interessenten für die digitale Währung. "Alternative Zahlungsmittel haben ja vorwiegend dann eine Chance, wenn es bei den traditionellen Zahlungsmittel Defizite gibt. Nun kann man sich fragen, welche das bei unserem Geld wären. Da könnte man nun zum Beispiel ins Treffen führen, dass die Anonymität zunehmend verschwindet – siehe etwa Abschaffung des Bankgeheimnisses." Über kurz oder lang, so Rösls Überzeugung, werden Bitcoin gerade deswegen verboten werden. 

Nebengelder blühen

Neu ist die Diskussion um zentrale oder dezentrale Geldschöpfung nicht. Tatsächlich sind nationale Währungen erst mit den ersten Wellen der Industrialisierung und Globalisierung im 19. Jahrhundert entstanden. Auch mit dem Für und Wider setze man sich damals auseinander. Dass Mihm und Rösl mit ihrer Prognose Recht behalten, ist davon abgesehen keineswegs gewiss. Regionalwährungen oder so genannte Nebengelder, auch in virtueller Form, blühen hierzulande und anderswo.

Mit ein Grund mag die Finanzkrise sein, die einerseits das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit des Geldsystems wieder einmal kräftig erschüttert hat und andererseits eine wachsende Zahl an Menschen in die prekäre Lage katapultierte, mangels traditionellem Geld am Wirtschaftskreislauf teilzunehmen. 2010 gründete etwa der Spanier Àlvaro Solache Comunitas, eine Mischung aus Tauschsystem und sozialem Netzwerk. Die Währung ist dort "Zeit". Wer eine Stunde Webdesign anbietet, bekommt, wenn jemand das in Anspruch nimmt, auf seinem Konto eine Stunde gutgeschrieben. Die kann er später zum Beispiel gegen eine Stunde Babysitten einlösen. Das Zeitkonto darf auch einmal ins Minus rutschen. Es gilt das Vertrauen, dass alle Beteiligten es ernst meinen. Die Griechen erfanden angesichts der Not in der Krise den Ovolos. Jedes Mitglied bekommt zur Eröffnung seines Kontos 100 Einheiten der virtuellen Währung. Durch das Angebot eigener Waren und Dienstleistungen auf der Online-Plattform kommen weitere virtuelle Münzen dazu. Auch die virtuelle Währung TEM basiert auf einem ähnlichen Prinzip, ist dabei aber auf die griechische Region Magnisia beschränkt.

Fehler im System

Mit ihrem wachsenden Unbehagen an einem scheinbar außer Kontrolle geratenen System stehen Bürger und Bürgerinnen keineswegs alleine da. Kritik kommt durchaus auch aus den Reihen mancher Profis. Der Ökonom Bernard Lietaer etwa, einst  in Diensten der belgischen Zentralbank und darüber hinaus Chef eines globalen Hedgefonds, gilt als einer der profiliertesten Kritiker der Finanzmärkte – und ist überzeugt: "Der Fehler steckt im Geldsystem selbst." Lietaer glaubt, dass es auch beim Geld Artenvielfalt braucht. Also Währungen, die nicht alles auf einmal sein wollen, die stattdessen ein sozialeres Wirtschaften ermöglichen, die mehr Unabhängigkeit von Banken versprechen". Modernes Geld erfüllt dagegen viele Funktionen als Tauschmittel, Wertmaßstab, Vermögensspeicher, Spekulationsobjekt, Einnahmequelle der Banken: Die Geldinstitute verdienen an ihm, indem sie es gegen Zinsen verleihen. Und das ist für den einen oder anderen auch die Wurzel manchen Übels.

Der Deutsche Sivlio Gesell entwickelte in den zwanziger Jahren die Idee des sogenannten Freigelds: Dabei ging es auch darum, der Sache mit dem Zins ein Schnippchen zu schlagen. Der Zins spielt im traditionellen Geldsystem eine bedeutsame Rolle, weil die Zentralbanken den Geschäftsbanken gegen einen bestimmten Prozentsatz Geld leihen, das diese dann in Umlauf bringen. Um auch den Zins zurückzahlen zu können, müssen die Geschäftsbanken zusätzliches Geld verdienen. Das tun sie, indem sie ihrerseits Geld verleihen und dafür Zinsen verlangen. Umgekehrt bieten sie allen, die bei ihnen Geld hinterlegen, ebenfalls Zinsen, weil sie dieses Geld weiterverleihen können.

Gesell hat moniert, dass dadurch dem Wirtschaftskreislauf Geld entzogen werde. Freigeld basiert bekanntlich darauf, dass es keine Zinsen dafür gibt, das Geld nicht auszugeben. Die Scheine verlieren am Ende eines Quartals zwei Prozent des aufgedruckten Wertes. Das sollte die Menschen dazu bringen, das Geld möglichst schnell wieder auszugeben. Gesells Gedanken fanden auch Eingang in die Praxis. Unter anderem im Tiroler Wörgl wurde während der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre Freigeld in Umlauf gebracht. Das Experiment verlief recht erfolgreich, bis es von den Behörden gestoppt wurde. Wohl deswegen, weil damals rund 200 anderer Gemeinden auf den Zug aufsprangen, meint Gerhard Senft, Wirtschaftswissenschafter an der WU-Wien im Gespräch mit derStandard.at. "Das wurde dort realtiv rasch entschieden", sagt Senft. Heute würden die Behörden im Umgang mit solchen Experimenten wesentlich weniger streng verfahren. Wohl auch mit der Erfahrung im Hintergrund, dass manche solcher Projekte sich ganz von selbst wieder erledigen.

Schweizer System

Andere, wie der Schweizer WIR-Franken hält sich dagegen schon seit Jahrzenten. Die Komplementärwährung steht eins zu eins zum Franken und zirkuliert in einem geschlossenen Kreislauf zwischen mehr als 60.000 KMU. Die Schweiz duldet das Nebengeld der 1936 mit einer Banklizenz geadelten Genossenschaft "Wirtschaftsring". Die Idee auch hier: Das Geld soll im Kreise des Gewerbes bleiben und dank Verzicht auf Zinszahlungen nicht auf die hohe Kante gelegt werden, sondern möglichst rasch wieder in Umlauf kommen. Betriebe, die am System teilhaben, sollen von zusätzlichen Aufträgen aus dem Kreis der WIR-Teilnehmer profitieren. Das WIR-Geld existiert nicht in Form von Münzen und Noten, sondern nur in den Büchern der Genossenschaft, der heutigen WIR-Bank. Der Umtausch von WIR-Franken in Schweizer Franken ist nicht erlaubt.

In kleinerem Rahmen schreiten andere zur Tat. Regionalwährungen wie Waldviertler, Steyrtaler, Flachgauer Talente, Chiemgauer, Urstromtaler oder Sterntaler, die parallel zum Euro Gültigkeit haben, gibt es viele. Eine Vielzahl von ihnen will in krisenhaften Entwicklungen wirtschaftlichen Input schaffen, sagt Wirtschaftswissenschafter Senft. In Österreich ist Rolf Schilling als Projektleiter Gemeinde- und Regionalwährungen der Talente-Genossenschaft in Vorarlberg schon seit 1996 Verfechter und Mitorganisator des umfangreichsten Projektes in Österreich: Er implementiert nicht nur Komplementärwährungen wie Talente, sondern hat auch Zeit als Tauscheinheit implementiert: Zahlreiche Vorarlberger verrechnen Computerupdate gegen Rasenmähen oder Altenbetreuung gegen Sockenstricken.

Soziale  Projekte und Währung Zeit

Begonnen hat die Sache laut Schilling im kleinen Kreis von 30 Leuten, denen vor allem daran gelegen ist, mit dieser Tauschgenossenschaft soziale Probleme zu bekämpfen: Die Zersiedelung des ländlichen Raums, die Abwanderung der Jungen, eine schrumpfende und alternde Bevölkerung. Die Überlebensfähigkeit des Projekts begründet Schilling damit, dass sich echte Profis hinter die Sache klemmten und damit, dass man regional und nicht nur lokal agiert. 100 Organisationen und Firmen sind mittlerweile Teil des Netzwerks. Wer allerdings meint, dass der Zuspruch in der Krise gestiegen ist, der irrt: "Manche Betriebe mit wenig Umsatz sind abgesprungen, um sich einerseits den Mitgliedsbeitrag zu ersparen und andererseits um ihren Fokus auf die Euro-Wirtschaft zu legen", sagt Schilling im Gespräch mit derStandard.at. Seine Aufgabe sieht er unter anderem darin, die Mitglieder bei der Stange zu halten, denn es brauche eine kritische Masse, damit das System funktioniere.

Eine andere Idee der Vorarlberger ist die Zeitvorsorge, die die Nachbarschaftshilfe ergänzt. Teilnehmer können Altenbetreuungs- und Altenpflege-Stunden leisten und ihre Zeitguthaben anlegen – bis sie selbst einmal gepflegt werden müssen. Oder sie können das Angesparte zugunsten der Nachkommen vererben, oder, sollten sie wegziehen, umtauschen in Euro, oder in eine Nachbarregion mitnehmen.

Gekoppelt an Geld oder nicht

Manche Systeme funktionieren als reine Tauschkreise, manche sind von offiziellem Geld völlig abgekoppelt, andere nicht. Die Vorarlberger legen etwa für Unternehmen im Verein für ihre Talente einen Umrechnungskurs zum Euro fest. Derzeit sind zehn Euro 100 Talente wert. Der Umrechnungskurs wird den Lebenshaltungskosten angepasst. Am Staat vorbei wird selbstverständlich auch hier nicht gewirtschaftet. Auch was in Talenten erwirtschaftet wird, wird versteuert. Wobei die Steuern selbstverständlich in Euro abgeführt werden. Die Proponenten des Vereins nehmen die Sache sowohl in organisatorischer als auch in sozialpolitischer Hinsicht sehr ernst. Eine Motivlage, die Wirtschaftswissenschafter Senft nicht bei allen Betreibern solcher Projekte ortet. Neben jenen "Geldschöpfern" die auf Währungsturbulenzen oder wirtschaftlich prekäre Situationen reagieren, ortet er salopp gesagt noch eine Spaßfraktion. "Das sind oft Menschen, die Lust haben, zu experimentieren und sich mit solchen Themen zu beschäftigen. " Die Bitcoins-Gemeinde zählt Senft dazu.

Volkswirt Gerhard Rösl verortet die Bitcoingemeinde eher in der globalisierungskritischen Fraktion. Ein sozialpolitisches Interesse der Nutzer sieht aber auch er nicht. Über die Überlebensfähigkeit der digitalen Währung kann man ohnedies nur spekulieren. Auch wenn Bitcoin verboten werden, gänzlich verschwinden werden sie nicht, sagt auch Rösl. "Aber wenn die Währung nicht mehr als Zahlungsmittel anerkannt ist, wird sie in die Schattenwirtschaft gedrängt werden." Die Verwendungsmöglichkeiten wären beschränkt. Ein Schicksal, ähnlich jenes der Dinosaurer wäre damit zumindest vorstellbar. (rebu, derStandard.at, 22.1.2014)