Bild nicht mehr verfügbar.

Seine letzten Medaillen eroberte Felix Gottwald im März 2011 bei der Nordischen Skiweltmeisterschaft in Oslo. Wenig später beendete er seine Karriere.

Foto: APA/Gindl

Mit sieben Medaillen bei Olympischen Spielen ist er der erfolgreichste Olympiateilnehmer Österreichs, jetzt hält er Vorträge, Seminare und Workshops.

Foto: Bernhard Eder

18 Medaillen bei Großereignissen pflastern seinen Weg, sieben errang er bei Olympischen Spielen, elf bei Weltmeisterschaften. Vor knapp drei Jahren beendete Felix Gottwald seine Karriere als Nordischer Kombinierer. Der Sport war nur Wegbereiter für seinen jetzigen Job, sagt der Salzburger. Als Trainer vermittelt er Analogien zwischen Sport und Beruf. Im Interview mit derStandard.at erklärt er, warum er bereits "ausgesorgt" hat und warum sich Sportler für Menschenrechte einsetzen sollten.

derStandard.at: Was ist anstrengender? Eine Weltcupsaison zu absolvieren, oder als Selbstständiger durch Österreich zu touren?

Gottwald: Die Frage ist, was Anstrengung für einen persönlich bedeutet: Sehe ich Anstrengung als etwas Vitalisierendes, dann ist es in etwa gleich, weil ich mich überall gerne anstrenge.

derStandard.at: Und vom Energieaufwand her?

Gottwald: Als Sportler habe ich mich sehr angestrengt, empfunden habe ich es aber nicht so. Ich bin zwar oft an und über das Limit gegangen, aber das war für mich normal. Wenn ich jetzt Menschen ein Stück auf ihrem Weg begleite, so sehe ich das nicht als Anstrengung, sondern als Privileg. Wenn du einen Job wählst, den du liebst, brauchst du keinen einzigen Tag mehr zu arbeiten. Bei mir ist das der Fall.

derStandard.at: Sie haben einen Job gefunden, den sie nicht als Arbeit empfinden?

Gottwald: Es ist ein Beruf, in dem ich Sinnvolles machen darf. Früher bin ich im Mittelpunkt gestanden und jetzt steht die Entwicklung anderer im Fokus. Wir trainieren miteinander in meinen Seminaren und Workshops. Die Teilnehmer verwirklichen dann oft die beeindruckendsten Dinge in ihrem Leben. Wenn ich davon erfahre, habe ich das Gefühl, dass der jahrelange Spitzensport nur die Vorbereitung für meinen heutigen Job war.

derStandard.at: Wenn Sie die jetzige Tätigkeit mit den Erfolgen als Sportler vergleichen: Ist es eine ähnliche Befriedigung, anderen zu helfen?

Gottwald: Die Zufriedenheit geht jetzt tiefer, weil man sich gemeinsam mit anderen für etwas Erstrebenswertes engagiert. Auch im Sport waren Erfolge im Team emotionaler als Einzelsiege: Erfolg wird mehr, wenn man ihn teilt.

derStandard.at: Sie haben Ihre Karriere als Sportler vor gut zweieinhalb Jahren beendet. Was vermissen Sie?

Gottwald: Wenn ich etwas vermisse, dann am ehesten den legendären Mittagsschlaf zwischen Vormittags- und Nachmittagstrainingseinheit. Seit ich Vater bin, sind die Nächte weit entfernt vom Durchschlafen. Hin und wieder geht sich tagsüber ein Powernap mit meiner Tochter aus. Aber: Den Spitzensport vermisse ich nicht, sonst hätte ich nicht aufgehört.

derStandard.at: Ihre Karriere hatten Sie eigentlich schon im Jahr 2007 beendet.

Gottwald: Danach habe ich ein Buch geschrieben, um die Karriere zu reflektieren. Nach zwei Jahren bin ich noch einmal eingestiegen, um genau herauszufinden, was im Spitzensport funktioniert und was nicht. Bei diesem Neustart oder Genussprojekt, wie ich es genannt habe, war klar, dass es im März 2011 endet. Es war auch klar, dass zehn Tage nach meinem letzten Weltcupstart meine neue Ära mit dem ersten Seminar in Loipersdorf beginnt.

derStandard.at: Hat sich der Berufswunsch in dieser Auszeit herauskristallisiert?

Gottwald: Ja, übers Buch schreiben. Der kreative Teil des Schreibens war für mich sehr sinnstiftend. Beim Überarbeiten sind mir Skills aus dem Sport wie Disziplin, Konsequenz und Fokussiertheit sehr entgegengekommen. Durch die vielen Anfragen nach Erscheinen von "Ein Tag in meinem Leben" habe ich gemerkt, dass das Buch nicht nur reine Lektüre ist, sondern dass sich Menschen für meine Zugänge und Methoden interessieren und sie selbst anwenden wollen.

derStandard.at: Sie vermitteln Analogien zwischen der Sportwelt und dem Job? Welche sind das?

Gottwald: Das Leben ist ein Balanceakt. Es gibt unendlich vielen Möglichkeiten, aus der Balance zu geraten und unendlich viele, sie wieder zu erlangen. Die Flexibilität und Kompetenz für letzteres kann man trainieren und verbessern. Wir alle sind mit unserer Aufmerksamkeit so viel im Außen, umso wichtiger ist es, den Fokus bewusst immer wieder nach innen, auf unseren Kern zu richten. Dieser Perspektivenwechsel ist heute die Fähigkeit schlechthin, diese aktivieren und entwickeln wir in meinen Seminaren.

derStandard.at: Mit welchen Tricks?

Gottwald: Ohne Tricks. In einer Zeit, die so von Geschwindigkeit geprägt ist, ist es wertvoll, Lärm und Tempo zu reduzieren, um wieder ein Gespür für die eigene Wahrheit zu kriegen, um Beobachter innerer Vorgänge sein zu können. Was denke ich? Welche Fragen stelle ich mir? Bin ich auf Sorgen fokussiert oder auf Vertrauen? Wohin meine Aufmerksamkeit geht, dort entsteht meine Wirklichkeit. Für mich als Sportler war die Stille eine wichtige Ressource, sie ist auch wesentlicher Bestandteil meiner Seminare. Teilnehmer lernen, die Klarheit der Stille schnell zu nützen.

derStandard.at: Viele Sportler haben nach ihrer aktiven Zeit Probleme, im Berufsleben Fuß zu fassen. War das bei Ihnen ein Thema?

Gottwald: Ich war im Skigymnasium Stams, dort wurde auf Ausbildung parallel zum Sport wertgelegt. Nicht nur für den späteren Beruf, sondern auch für die sportliche Entwicklung. Meine Matura habe ich bis heute nicht gebraucht, die Vorbereitung darauf war aber sportlich gesehen vielleicht die effektivste Trainingseinheit. Im Sport herrscht aber dieselbe Bildungsproblematik wie außerhalb. Neugierde, Kreativität, Begeisterung fürs Lernen, fürs Erweitern des eigenen Horizonts sind nicht die wichtigsten Ziele, sondern Anpassung und Entsprechung. Auf die Weise geht bei vielen die kindliche Lernfreude im System verloren.

derStandard.at: Hätten Sie neben dem Spitzensport Zeit gehabt, parallel eine Ausbildung zu absolvieren? Etwa ein Fernstudium?

Gottwald: Hätte ich gehabt, ja. Wenn man sich für etwas begeistert, ist immer Zeit vorhanden, egal wie viel zu tun ist. Regeneration ist das halbe Training und in der Regeneration ist es gut für den Geist, sich auch für andere Dinge als für Sport zu begeistern. Im Wort Begeisterung steckt Geist drinnen. Bei mir waren das immer schon Menschen und ihr Verhalten, das konnte ich im Spitzensport auch studieren.

derStandard.at: Sollten Maßnahmen auf institutioneller Ebene ergriffen werden, etwa von Seiten des Sportverbandes, oder ist alles eine Frage des individuellen Willens, ohne den es nicht geht?

Gottwald: Beides. Es gibt ja Angebote, die recht gut angenommen werden. Letztlich zählt immer das persönliche Engagement. In meinen Seminaren sitzen oft junge Sportler, die aus eigenem Antrieb kommen, sich alles selber zahlen und die teilweise sogar Trainingseinheiten auslassen. Sie lernen dann, dass es nicht immer um Quantität, sondern mehr um Qualität geht, wie sie mental fokussierter und dadurch im Sport effizienter werden können. Wenn junge Sportler auch "Über den Tellerrand schauen" trainieren, gibt es die Gefahr eines schwarzen Lochs nach der Karriere nicht. Die Enttäuschungen entstehen ja nur dadurch, dass sich Athleten zu sehr aufs Drumherum konzentrieren und den Täuschungen und Illusionen, die es im Spitzensport natürlich auch gibt, erliegen.

derStandard.at: Wie verhält es sich in Randsportarten? Olympiasiege sind wohl zu wenig, um ausgesorgt zu haben.

Gottwald: Mir gefällt das Wort "ausgesorgt" sehr gut. Ich habe nie begonnen, mir Sorgen zu machen, deswegen hatte ich schon vor meinem ersten Wettkampf "ausgesorgt". Die Vorstellung, dass mit materiellem Reichtum alle Sorgen und Probleme erledigt sind, ist ja absurd. Selbst ein Lottogewinner macht sich Sorgen um sein Geld. Ich habe mich bereits mit 14 Jahren entschieden, den elterlichen Autobetrieb nicht zu übernehmen. Es kommt darauf an, wer gewinnt Olympia-Gold, in welcher Sportart, in welchem Land und vor allem: Was macht sie oder er persönlich draus?

derStandard.at: Hatten Sie existenzielle Ängste?

Gottwald: Anflüge, ja, auch ich habe Ängste und Zweifel. Nur beunruhigen sie mich nicht. Ich nehme sie einfach als Feedback, das mir zeigt, wie gut es im Moment um mich und mein Vertrauen steht. Ich spüre den Gefühlen nach, schaue, welche Gedanken sie auslösen und meistens reicht das schon, damit die kleinen Verunsicherungen, die eh jeder von uns kennt, wieder verschwinden.

derStandard.at: Gab es als Aktiver einen Plan B in der Schublade?

Gottwald: Mein Plan B war die Matura, die ich parallel zum Sport gemacht habe. Man hat zu jeder Zeit alle Optionen. Heute und damals als ich jung war. Jeder Beruf hat das Risiko, dass man ihn nicht mehr ausüben kann, aus welchen Gründen auch immer. Sportler sind hier keine Ausnahme.

derStandard.at: Nur sehr wenige Sportler haben nach ihrer aktiven Zeit finanziell ausgesorgt. Wie war das bei Österreichs erfolgreichstem Olympiasportler?

Gottwald: Ich bin in der glücklichen Lage, relativ viel zu haben und relativ wenig zu brauchen. Wann hat man überhaupt finanziell ausgesorgt? Ich weiß es nicht. Ich stelle mir das fad vor, ein Killer für den inneren Antrieb, wobei Geld allein niemals eine gute Triebfeder ist, sondern nur sinnvolles Tun. Auch die Goldmedaille selbst ist nicht der Wert, sie ist nur ein Symbol für den Weg dorthin – die Erfahrungen sind das eigentlich Wertvolle. Manche machen daraus nicht viel, dann ist eine Goldene auch nur ein Stück Metall, wie ein Souvenir. Andere wiederum nehmen den Spirit, die Ideen und Emotionen in ihr weiteres Leben mit, teilen das alles mit anderen, dann bleibt auch etwas vom Augenblick.

derStandard.at: In Ihren Seminaren sitzen auch jüngere Sportler. Ist das für Sie eine Option, einmal im sportlichen Bereich als Nachwuchstrainer zu arbeiten?

Gottwald: Aktuell nicht. Es war ein bewusster Entschluss, nach der aktiven Karriere Frischluft zu genießen. Außerhalb des Systems, in dem ich so viele Jahre war. Im Moment sehe ich mich nicht in einem System wie dem Österreichischen Skiverband. Derzeit könnte ich mir nicht vorstellen, mit dem Weltcupzirkus zu touren, auch weil die Zeit zuhause mit meiner Tochter so wertvoll ist.

derStandard.at: ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hat für Aufsehen gesorgt, weil er im STANDARD-Interview gemeint hat, dass sich Sportler vor den Olympischen Spielen in Sotschi nicht politisch äußern sollen. Wie sehen Sie das?

Gottwald: Der Spitzensport ist eine wertvolle Plattform. Das impliziert, dass Sportler die Werte des Sports auch zum Ausdruck bringen und den Mut haben sollen, sich auch zu gesellschaftlich brisanten Themen zu äußern. Auch wenn es nur so weit geht, dass man sagt: Ok, wichtiges Thema, aber ich habe zu wenig Einblick, um etwas dazu zu sagen. Peter Schröcksnadel hat wohl gemeint, dass sich Sportler in Sotschi auf den Sport konzentrieren sollen. Olympia funktioniert wie eine riesige Lupe: Jede Äußerung kann dort tagelange Erklärungen und Rechtfertigungen nach sich ziehen. Jeder muss abwägen, ob er das in der Entscheidungsphase in Kauf nimmt oder nicht. Dass es im Sport um Menschen, um Fairness und Toleranz geht und dass es immer lohnt, sich dafür einzusetzen, sollte klar und im Interesse aller sein.

derStandard.at: Sportler sind in einer sehr exponierten Position, viele fungieren als Vorbilder. Gäbe es einen breiten Protest an den Zuständen in Russland, könnte es vielleicht etwas bewirken.

Gottwald: Bereitet man sich vier Jahre auf Olympische Spiele vor, um dort zu protestieren? Sportler sind keine Politaktivisten, das wäre auch zu viel verlangt. Sie können aber Bewusstsein schaffen, indem sie ihre Meinung sagen. Protestaktionen durch Sportler in Sotschi erwarte ich mir nicht. Sie haben sehr viel in die eigene Mission investiert, in ihren Lebenstraum, das darf man nicht vergessen. Meinungsfreiheit muss es geben, auch im Schiverband. Ich habe nie erlebt, dass jemand einen Maulkorb bekommen hat, es wurden nur Empfehlungen ausgesprochen.

derStandard.at: Empfehlungen in welche Richtung?

Gottwald: Etwa, dass es klug ist, sich als Sportler nicht parteipolitisch zu engagieren. Menschenrechte sind aber eine andere Kategorie. Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht (Anm.: Zitat von Bertolt Brecht). Das gilt für uns alle.

derStandard.at: Auch heftig kritisiert wurde Schröcksnadels Aussage, dass es ihm lieber sei, wenn für Familien statt für Homosexuelle geworben werde. Teilen Sie diese Kritik?

Gottwald: Irgendwann wird es diese abstrusen Diskussionen über sexuelle Orientierung von Menschen hoffentlich gar nicht mehr geben, auch keine künstliche Aufregung über Outings mehr. Jede Bewertung ist unangebracht. Sport kann über schneller, höher, weiter urteilen, ansonsten sind Akzeptanz und Toleranz die Haltung, für die der Sport stehen sollte.

derStandard.at: Halten Sie es für problematisch, dass sich der Präsident des Österreichischen Skiverbandes so äußert? Immerhin steht er ja an der Spitze eines Vereins, der sehr viele junge Sportler repräsentiert, die sich vielleicht ein Outing überlegen.

Gottwald: Ich kenne den Peter schon lange, er macht manchmal Schnellschüsse und sagt Dinge, die er vielleicht anders meint. Manchmal ist es klüger zu schweigen. Ich habe ein offenes Weltbild, aber wahrscheinlich auch schon viel Blödsinn von mir gegeben. Dann wäre das richtige Signal, dass man sich hinstellt und sagt: "Tut mir leid, war ein Blödsinn, ich entschuldige mich dafür." Die Angst davor, man könnte etwas Falsches sagen, tut dem Sport nicht gut. "Schauen wir mal, dann sehen wir eh" – solche Sätze will das Publikum nicht hören. Die Menschen wollen auch die Menschen mit den Startnummern kennenlernen. Deshalb: Sportler sollten auch in ihren Verbänden ermutigt werden, in der Öffentlichkeit ehrlich für sich und ihre Meinung einzustehen. Das hat die größte Vorbildwirkung. Sport ist ja keine Insel. Wir sollten da hinkommen, dass das Outing eines Sportlers keine Schlagzeile mehr ist. (Oliver Mark, derStandard.at, 15.1.2014)