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Wien - Bei internationalen Finanzorganisationen läuten erneut die Alarmglocken wegen Osteuropa. Nach einer ersten Welle im Jahr 2008 haben westeuropäische Banken Mitte 2011 erneut damit begonnen, ihre Finanzierung für Tochterinstitute in Osteuropa zurückzufahren. Im zweiten Halbjahr 2013 hat sich diese Tendenz nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Osteuropabank EBRD noch einmal beschleunigt: "Wir sprechen hier von einer signifikanten und besorgniserregenden Entwicklung", sagte der Vizechef der Europaabteilung beim IWF, Asim Husain, dem Standard am Dienstag am Rande einer Investorenkonferenz in Wien.

IWF und EBRD macht vor allem die Entwicklung der grenzüberschreitenden Bankenforderungen gegenüber Schuldnern in Osteuropa Sorgen. Diese "foreign claims" sind ein Gradmesser für die Investitions- und Risikobereitschaft von Banken in einer Region. In Ungarn und Slowenien sind grenzüberschreitende Forderungen seit 2011 im Ausmaß von rund 20 Prozent der Wirtschaftsleistung des jeweiligen Landes zurückgegangen. Vom Kapitalabzug stark betroffen sind auch Kroatien, Rumänien und Serbien - alles wichtige Investitionsmärkte für Österreichs Unternehmen.

Insgesamt haben westeuropäische Banken seit dem Höhepunkt des Booms rund 165 Mrd. Dollar (120 Milliarden Euro) aus der Region abgezogen - und in dieser Zahl ist die jüngste Welle der Kapitalflucht aus dem zweiten Halbjahr 2013 noch nicht einmal eingerechnet. Genaue Daten wollen EBRD und IWF kommende Woche veröffentlichen. Vor allem der IWF warnt aber zusätzlich vor einem neuen Problem: Bisher haben andere Investoren, also Unternehmen und Anleger am Aktien- und Anleihenmarkt, den Abzug der Banken ausgeglichen. Dies hat sich im dritten Quartal 2013 geändert, "erstmals seit 2009 verzeichnete die Region da wieder einen Nettoabfluss von Kapital", sagt Husain vom IWF.

Verschiedene Ursachen

Die Gründe für die Entwicklungen sind vielfältig. Verantwortlich für den den Rückzug der Banken und Investoren ist ein Mix aus regionalen und überregionalen Ursachen. Die Kreditinstitute in Westeuropa versuchen seit 2011 ihre ausgedünnte Eigenkapitaldecke zu stärken. Weil viele Banken keine private Investoren anlocken können, fahren sie ihr Engagement in Ländern mit höherem Risiko zurück, um so regulatorische Vorgaben zu erfüllen. Ein Beispiel dafür ist die Raiffeisen Bank International, die einen Rückzug aus der Ukraine prüft und sogar über den Verkauf des Ungarngeschäfts verhandelt hat.

Dass sich der Kapitalabzug Ende 2013 bei den Banken beschleunigt hat, liegt nach Angaben von Erik Berglöf, Chefökonom der EBRD, vor allem an Entwicklungen in der Eurozone. Die Europäische Zentralbank prüft derzeit die Qualität der Bankbilanzen, im Herbst erfolgt ein weiterer Kontrollgang mittels eines Stresstests für die Geldhäuser. "Diese Bilanzchecks haben den Kapitalbezug offenbar beschleunigt", sagt Berglöf.

Dass auch Anleger Geld abgezogen haben, begründet man beim IWF mit der Strategie der US-Notenbank. Die Fed hat in den vergangenen Jahren massiv Geld in die Finanzmärkte gepumpt, derzeit beginnt sie langsam ihr Engagement zurückzufahren - offenbar verschreckt das einige Investoren.

Faule Kredite

Hinzu kommen aber auch regionale Faktoren: Slowenien, Kroatien und Serbien stecken in einer Rezession: "Die Unternehmen dort sind überschuldet. An Neukredite denkt kaum jemand", sagt Wladimir Gligorow vom Osteuropainstitut WIIW in Wien. Auch Ungarns Wirtschaft stagniert, nicht zuletzt wegen der niedrigen Inlandsnachfrage. Ebensolche Probleme gibt es in Rumänien, weshalb auch hier die Neunachfrage nach Krediten gebremst ist. Die Banken ihrerseits kämpfen in diesen Ländern mit einer horrend hohen Zahl an faulen Krediten.

Die große Frage ist, ob die Kapitalflucht aus Osteuropa das Wirtschaftswachstum heuer bremsen wird, beim IWF hält man dies für möglich. Dabei war Währungsfonds und EBRD zuletzt wieder optimistischer für die Region. Kein Zweifel besteht für Berglöf von der EBRD darin, dass der Bankenrückzug noch lange nicht abgeschlossen ist: "Bis der Prozess abgeschlossen ist, werden noch zwei bis drei Jahre vergehen." (András Szigetvari, DER STANDARD, 15.1.2014)