Aber das ist kein Grund, sich die langen und langsamen Einheiten nicht zu Genussläufen zurechtzubasteln

Helena meldete Zweifel an. Ob ich sicher sei, genug trainiert zu haben, fragte meine Haupt-Laufkumpanin. Natürlich hatte sie recht: Um in Wien ein bisserl herumzulaufen, reicht es zwar alleweil - aber ist das tatsächlich genug für die große, weite Welt?

Foto: Thomas Rottenberg

Denn zu Weihnachten war ich mit einem - bis dahin nur als Jux existenten - Plan dahergekommen: Ich könnte doch in Tokio starten, Ende Februar. Der Veranstalter der Marathonreise (Ruefa/Eybl) hatte einen Restplatz beim angeblich begehrtesten Marathon der "Big 6"-Serie (neben Tokio sind das New York, Boston, Chicago, Berlin und London), kurzfristig sei der frei geworden. (Und auch wenn die Anmeldung leider gerade wieder wackelt: Nur kein Neid, der Trip ist weder eine Einladung des Veranstalters noch eine vom STANDARD gezahlte Dienstreise.)

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Mich kann man mit so etwas leicht begeistern. In meiner Laufgang aber denken ein paar Leute analytischer: Dass die Zeit für seriöse Vorbereitung viel zu kurz sei, dürfe ich nicht einfach wegschieben. Ob ich mir - quasi kalt und in der Freeride-Saison - wirklich 42k zutraue? Keine Ahnung. Aber um das herauszufinden, gibt es genau eine Methode: es zu tun. Und mit ein paar langen, langsamen Einheiten zumindest ein provisorisches Ausdauerfundament zu skizzieren.

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25 bis 27 Kilometer waren der Plan. Start: Alte Donau. Wetter: traumhaft. An Land, am Wasser - und drin. "Die Sicht", sagte der eine Taucher, "ist sicher super - aber das Wasser könnte schon wärmer sein." Wie kalt es war, verrieten sie später online ("Wir kennen uns. Auf Facebook", hatte der eine gesagt, als ich fragte, ob ich das Foto verwenden dürfe): fünf Grad. Aber für wärmere Gegenden reichten weder Zeit noch Geld gerade.

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Lange, ruhige Läufe mit möglichst wenigen Störungen durch Ampeln führen in Wien meist irgendwann ans Wasser. Doch während es zwischen Reichs-, Brigittenauer und Nordbrücke von Spaziergängern, -läufern und Radfahrern wimmelt, gehört der untere Teil der Insel vor allem den Ruderern und ...

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... vereinzelten Skatern. Weiter flussaufwärts ist Ausdauersport kommunikativer und geselliger. Aber je weiter man nach unten kommt, umso ...

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... meditativer wird die Sache. Oder eben einsamer. "Kopfleerkrieglaufen" nennt das ein Freund, wenn da nix mehr außer Weg und Landschaft ist.

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Obwohl man sich auch täuschen kann: Beim Wildwasserpark kam mir plötzlich eine Gruppe entgegen. Locker 30 Leute. In - für Wiener Verhältnisse - the middle of nowhere. Ich dürfte verdutzt dreingeschaut haben: So große Gruppen sieht man in Wien eigentlich nur abends auf der Hauptallee. Etwa am Mittwoch, wenn dort die Frauenlauf-Trainingsteams in Kompaniestärke unterwegs sind. Hier dagegen habe ich bisher vermutlich insgesamt so viele Läufer gesehen, wie da plötzlich en bloc auftraten.  

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Was ich auf der Insel noch nie sah: Biber bei der Arbeit. Das geht anderswo - in den Praterauen oder der Lobau - manchmal. Nicht beim Laufen: Zeitig in der Früh, wenn man still, ruhig und leise ist, ist Wiens "Backcountry" eine Gegend, in der man das Staunen wieder lernen kann.

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Obwohl das auf der Donauinsel tagsüber auch geht. Wenn man neben der richtigen Ausrüstung die richtige Führung hat: Der unscheinbare kleine weiße Punkt in der rechten Bildmitte ist eine Ente - und die Herrschaften auf der Brücke sind akademische Entenbeobachter: Studierende der Uni Wien auf Entenbeobachtungsexkursion.

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Dass die Donauinsel alles andere als eine steril-bretteleben-schnurgerade Aufschüttung ist, sieht man umso besser, je weiter flussabwärts es geht: Hier rauscht Wiens "künstlicher Wildbach". Beim Bau des Kraftwerks wurde er entlang der Kraftwerksmauer angelegt. Man kann ihn ein- und ausschalten. Wozu?

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Nun, Fische verstehen das Prinzip einer Schiffsschleuse nicht ganz - aber über ein paar Geländestufen (eine sogenannte "Fischtreppe") können sie die Kraftwerksmauer umschwimmen. Bei Fischzählungen wurden hier angeblich Fische gesichtet, die man in der Donau de facto schon für ausgestorben gehalten hatte.

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Weiter unten käme ich dann nur noch schwimmend über den Fluss. Oder mit dem Boot eines Fischers: Auf Höhe des Alberner Hafens gibt es ein paar fischende Bootsbesitzer, die das tun. Im Sommer - und vermutlich nicht zu 100 Prozent legal.

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Aber egal. Schließlich ist derzeit ja offiziell Winter. Bis zur nächsten fußgängertauglichen Brücke wäre es mir jedenfalls eine Spur zu weit: Die ist nämlich bei Hainburg. Und das ist dann doch eher die Rad- als die Laufdistanz.

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Zurück geht es dann die Donau hinauf. An Tagen ohne Wind ein echter Spaziergang. An Tagen mit Wind nicht ganz so. Was da hilft: Mantras. Das habe ich beim Skitourengehen gelernt. Und beim Radfahren: Wenn da keiner ist, an dessen Hinterachse oder Fersen man sich "festhalten" kann, tragen einen gebetsmühlenartige Sätze perfekt. Meditation in Bewegung eben.

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Gut zehn Kilometer früher - noch an der Alten Donau - hatte eine spazierengehende Jungmutter mit Hund und Kinderwagen den Rucksack als "Schuhlöffel" für einen Tratsch verwendet. Auch sehr fein. Aber das Ding taugt nicht nur dazu: Ich mag die kleinen, an der Hüfte hüpfenden Flaschen nicht. Und auch wenn es theoretisch auch ohne Catering ginge, ist warmer Tee an kalten Tagen einfach fein. Plus: Ein trockenes Leiberl übrig zu haben ist nie ganz falsch. Nicht nur auf Skitouren gilt in etwas abgelegeneren Regionen: better safe than sorry.

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Knapp nach der Pagode gibt es eine kleine Brücke. Über die Bahn und die Lände zurück in den unteren Prater. Mein Hauptlaufrevier. Vermutlich könnte ich die Runde außen um den Golfplatz herum mittlerweile mit verbundenen Augen laufen, obwohl ...

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... es dann eben doch immer eine neue Kleinigkeit zu entdecken gibt. Wenn die Augen offen bleiben. Oder wenn man nicht nur auf den Weg achten muss.

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Die letzten paar Kilometer sind lockere Routine. Nicht "ich laufe", sondern "es läuft": Erdberg - Lusthaus - Praterstern - Urania - Stephansplatz - Graben - Kohlmarkt und nach Hause. Am Kohlmarkt mit dem Rad zu fahren habe ich mir längst abgewöhnt. Ganz abgesehen davon, dass ich Slalom nicht mit menschlichen Kippstangen trainiere, ist mir das Erwischtwerden einfach zu teuer. Und hier passt die Polizei ja auf.

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Ganz im Gegensatz zur Mariahilfer Straße, meinem letzten Kilometer: Mit dem Auto durch die Fuzo kostet derzeit 30 Euro. Aber es gebe mittlerweile SUV-Fahrer, die die "Maut" für die Wiener Rettungsgasse schon griffbereit dabeihätten, erzählte unlängst ein Polizist. "Obwohl das Risiko, erwischt zu werden, ohnehin minimal ist. Das wird politisch nicht gewollt."

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Egal. Das ist eine andere Geschichte. Und sie macht weniger Spaß, als sich selbst auf einem langen und lockeren Lauf zu beweisen, dass es geht. Wenn man will - und falls das mit der Nachnominierung für Tokio doch noch hinhaut. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 15.1.2014)

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