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Politologe Fritz Plasser: "Ich gehe nicht davon aus, dass wir am Beginn einer Ablösediskussion stehen."

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Plasser: "Das Faktum, dass er überhaupt eine Sitzung einberufen musste, um die Wogen zu glätten, zeigt, dass hier eine erhebliche innerparteiliche Dynamik in Gang gekommen ist."

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Politologe Fritz Plasser analysiert im Gespräch mit derStandard.at die Krisensitzung der ÖVP, das Aufbegehren der Landeshauptleute sowie deren "generalisierte Unzufriedenheit über das ausverhandelte Regierungsprogramm". Eine Obmanndebatte sei dennoch nicht zu erwarten. Einerseits mangle es an Alternativen. Andererseits habe Spindelegger innerhalb der ÖVP "nach wie vor starke Partner und Loyalitäten, auf die er aufbauen kann".

derStandard.at: Die Krisensitzung der ÖVP wurde gestern eilig einberufen. Im Vorfeld hieß es, ÖVP-Chef Michael Spindelegger wird die Vertrauensfrage stellen. Letztendlich sprach Spindelegger von einer Routinesitzung. Wie glaubwürdig ist das?

Plasser: Selbstverständlich war das alles andere als Routine und geplant. Die innerparteilichen Oppositionstöne in den letzten Tagen haben in ihrer Massivität die Führungsautorität Michael Spindeleggers erheblich in Mitleidenschaft gezogen. De facto blieb ihm nichts anderes über, als eilig eine solche Aussprache einzuberufen. Ob er die Vertrauensfrage gestellt hat oder nicht, können wir nicht beurteilen. Das Faktum, dass er überhaupt eine Sitzung einberufen musste, um die Wogen zu glätten, zeigt, dass hier eine erhebliche innerparteiliche Dynamik in Gang gekommen ist. Ich gehe nicht so weit, dass das bereits der Beginn einer Ablösediskussion ist. Spindelegger wurde jedoch deutlich geschwächt. Spindelegger muss jetzt dringend handeln.

derStandard.at: Warum sind Teile der ÖVP plötzlich so unzufrieden? Geht es um die Person Michael Spindelegger selbst?

Plasser: Das sehe ich nicht prioritär. Die Unzufriedenheit hat unterschiedliche Ebenen. Einerseits sind sachpolitisch unterschiedliche Akzentuierungen festzustellen, die zum Teil kontrovers zu dem vor wenigen Wochen beschlossenen Regierungsprogramm stehen. Die westlichen Bundesländer sehen sich offensichtlich zu wenig in der neuen Regierung vertreten. Eine weitere Ebene betrifft die generalisierte Unzufriedenheit über das ausverhandelte Regierungsprogramm. Teile der ÖVP können sich damit vermutlich nicht hinreichend identifizieren. Manche Landesorganisationen haben außerdem offenbar die Besorgnis, die Bundesorganisation sei zu stammwählerorientiert. Etwa was die Lösung von aktuellen Problemen betrifft, aber auch die Perspektiven in die Zukunft.

Es gibt eine noch tiefere Ebene: Einige ÖVP-Landesorganisationen regieren in anderen Koalitionsformen als Rot-Schwarz. Andere Koalitionspartner haben auch Effekte auf die Landeshauptmänner. Sie müssen andere Standpunkte berücksichtigen, und sie entwickeln eine vielleicht stärkere Sensibilität für neue Politikerwartungen der Wählerschaft. Das ist zum Teil konträr zum Erscheinungsbild der Bundespartei, die in einer weiteren Neuauflage von SPÖ-ÖVP arbeitet. Zudem gibt es länderspezifische Interessen. In Vorarlberg hat etwa ein sehr junger und sehr ambitionierter Mann die absolute Mehrheit der ÖVP zu verteidigen. Und mit den Neos hat der scharfe Konkurrenten.

derStandard.at: Was muss Spindelegger also tun?

Plasser: Auch wenn wir das heute oder morgen vermutlich noch nicht hören werden: Ich gehe davon aus, dass eine Reaktion der Bundes-ÖVP sein wird, eine innerparteiliche Diskussionsplattform zur Verfügung zu stellen.

derStandard.at: Was muss die ÖVP - programmatisch gedacht - anders machen?

Plasser: In der Bildungs- und Gesellschaftspolitik gibt es sehr viele Fragen, worauf modifizierte Antworten zu geben sind. Es muss diskutiert und gedacht werden. Im Kern geht es darum, ein in die Zukunft gerichtetes, innerparteiliches Brainstorming zu ermöglichen. Es geht nicht um eine Grundsatzprogrammdiskussion, sondern um Politiken, die dann auch tatsächlich umsetzbar sind. Es geht nicht um einen Gegenentwurf zum Regierungsprogramm. Es ist durchaus vorstellbar, dass man mit der SPÖ in den nächsten Jahren Akzente setzt.

derStandard.at: In der SPÖ gibt es Forderungen nach mehr innerparteilicher Demokratie. Das neue Parteiprogramm wird heftig diskutiert. Hat man sich diesbezüglich in der ÖVP da ein wenig zurückgelehnt?

Plasser: Ich würde nicht sagen, dass sich die ÖVP zurückgelehnt hat. Es ist eine andere Dynamik in der ÖVP zu spüren. 2011 kam der für viele unerwartete Rückzug von Josef Pröll. Dann begann die Parteiobmannschaft Spindeleggers, die zunächst zu konsolidieren war. Diese konnte nicht gleich mit einer Partei- und Grundsatzdiskussion starten. Weiters mussten unglaubliche Herausforderungen in der Regierungstätigkeit - Stichwort Krise - bewältigt werden. Später galt es, den Nationalratswahlkampf zu bestreiten.

derStandard.at: Im August 2012 wurde ebenfalls eine Obmanndebatte geführt. Damals war Maria Fekter sogar als Obfrau im Gespräch. Wie fest sitzt Spindelegger heute im Chef-Sessel?

Plasser: Seine innerparteiliche Autorität ist weiter geschwächt durch die letzten Tage. Sie ist nicht durch eine Pressekonferenz um ein Uhr morgens herstellbar. Ich gehe nicht davon aus, dass wir am Beginn einer Ablösediskussion stehen. Und zwar aus mehreren Gründen. Am 25. Mai gibt es die Wahl zum Europäischen Parlament. Nun eine Personaldebatte zu führen wäre kontraproduktiv. Zweitens: Personelle Alternativen sind offensichtlich nicht vorhanden. Unmittelbar gibt es keine Zukunftshoffnung. Spindelegger kann außerdem nach wie vor auf innerparteiliche Machtgruppierungen zählen. Den ÖAAB, das Bundesland Niederösterreich und Oberösterreich. Er hat nach wie vor starke Partner und Loyalitäten, auf die er aufbauen kann. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 13.1.2014)