Wien - Im Musikverein ist er, der ehemalige Chef des Amsterdamer Concertgebouworchesters, in den letzten Jahren großzyklisch mit seinem Gewandhausorchester präsent gewesen: Riccardo Chailly präsentierte mit dem deutschen Klangkörper der Extraklasse aus Leipzig etwa alle Schumann-Symphonien; auch eine dem revolutionären Elan verpflichtete Serie aller Beethoven-Symphonien fand hier freudvolle Aufnahme.

Nun war der Mailänder, der ab 2015 unter Intendant Alexander Pereira auch als Musikchef der Scala fungieren wird, hier aber endlich mit den Wiener Philharmonikern zu erleben: Sibelius und Bruckner standen auf dem Programm. Mit viel Freude an der vierschrötigen Kraft und den dunklen, schweren Farbtönen des Werkes gab man zuerst die Tondichtung Finlandia, dann folgte Leonidas Kavakos als Solist von Sibelius' Violinkonzert. Da war immer ein Hauch von emotionaler Unberührtheit, der bei Kavakos' Spiel stutzig machte, ein Für-sich-Spielen, ein leiser Mangel an funkelnder Strahlkraft.

Mit sachlicher Intensität gab der Grieche das Hauptthema des 2. Satzes, die Philharmoniker begleiteten toll, oft wirklich superzart. Vor allem die Streicher genossen das Stück hörbar wie sichtlich, der Mittelsatz fand einen wunderschönen Ausklang. Bei aller Virtuosität, die Kavakos im Finalsatz demonstrierte: Ein freudvoller Tänzer ist er nicht. Dennoch gab er Bachs E-Dur-Gavotte en Rondeau zu, in niedlicher Art.

Bei Bruckners 6. Symphonie bevorzugte Chailly dann in allen fortissimofernen Passagen ein filigranes, transparentes, frühlinghaftes Klangbild. Ein Lyriker. Seine runde, nie aufgeblasene Art zu dirigieren ist angenehm anzuschauen. Im sehr feierlichen zweiten Satz - Kommentar eines philharmonischen Abonnenten: "Da hätt die Höhfte oba a g'reicht" - hält der 60-Jährige die Dinge im Fluss, befeuert die Musiker bei den langen Steigerungen immer im richtigen Maß. Dennoch: Die Sechste ist ein seltsames Werk. Kaum etwas bleibt haften. Nur das Hauptthema, das man als Filmmusik für Lawrence von Arabien verwenden könnte. Begeisterter Applaus.

Amsterdam, Genf, Basel, Köln, Mailand und Paris werden wohl ähnlich reagieren; als Abschluss der Zusammenarbeit mit Chailly geigen die Philharmoniker dann übrigens beim eigenen Ball im Musikverein auf. Gute Reise und frohen Tanz! (Stefan Ender, DER STANDARD, 13.1.2014)