Es ist ja nicht gerade so, dass man sich noch viel erwartet. Ich weiß: Uns geht es gut, keine Frage. Und abgesehen von ungelösten Umweltfragen wie Feinstaub und Klimawandel, ungelösten Verteilungsfragen, offenen Bildungsbaustellen kann man sagen: Unser Land steht gut da.

Aber war da nicht was? Hatte nicht vor der Wahl die ÖVP davon gesprochen, dass der Standort Österreich sogar "abgesandelt" ist (WKÖ-Präsident Leitl)? Wollte nicht ein enthusiastisch wahlkämpfender Vizekanzler Michael Spindelegger die Wirtschaft entfesseln? Ein ganzes Entfesselungsprogramm wurde präsentiert, über 400.000 neue Arbeitsplätze sollten entstehen, Loblieder wurden auf die Wirtschaft gesungen - vor allem auf die kleinen und mittleren Unternehmen. Man meinte gar, "wenn wir sie nicht schon hätten, wir müssten die KMU neu erfinden. Danke an alle kleinen, mittleren Unternehmer für ihre tägliche Arbeit, für die vielen Arbeitsplätze, die sie schaffen. Das ist großartig. Das ist Österreich!" So Spindelegger in seiner "Österreich-Rede" am 15. Mai 2013 in der Hofburg.

Ja, aber Österreich ist leider nicht nur das. Österreich ist mehr: Kaum hätte Spindelegger die Chance, als Finanzminister für mehr Entfesselung zu sorgen, ist der Wahlkampf so was von vergessen. Vor der Wahl rühmte man sich noch, was schon alles in Umsetzung sei, "die GmbH neu, der Jungunternehmerfonds, um den Jungen unter die Arme zu greifen, die Start-up-Initiative, die Erleichterungen in der Gewerbeordnung. Letztes Jahr angekündigt, in diesem Jahr umgesetzt." Und, tja, leider vom neuen Ressortchef im Finanzministerium - erraten: Michael Spindelegger - 2014 wieder abgeschafft. Die Entfesselung der Entfesselung sozusagen.

Vielleicht hätten wir eine Passage der Österreich-Rede ernster nehmen sollen: "Über 90 Prozent unserer Unternehmen sind klein bis mittelgroß. Sie sind flexibel, anpassungsfähig, sie nü¨tzen die Marktnischen. Sie sind innovativ, sie sind kreativ. Und sie sind vor allem eines: unerschrocken."

Ja: Wir sind so unerschrocken, dass wir trotz "Entfesselungsprogramms" weitermachen. Die ÖVP pflastert sich mit dieser Unverlässlichkeit - nein: Frotzelei! - allerdings den Weg ins Leichenhaus. Als nächste Zielgruppe werden nun die Unternehmer wohl endgültig vertrieben.

Ich bin gespannt, ob die ÖVP-Nationalräte des Wirtschaftsbundes ihr freies Mandat nutzen werden, um dieser Entfesselung der Entfesselung ein Ende zu setzen. Oder ob sie den Weg der ÖVP ins Leichenhaus mitpflastern.

PS: Ich habe vergangenes Jahr nach Beratung durch das Gründungsservice (=WKO) eine GmbH light gegründet. Mein Pech. Ein unerschrockener Jungunternehmer wird wohl locker in ein paar Jahren 25.000 Euro auf die Seite schaufeln können. Man zahlt ja eh fast keine Steuern. (Klemens Riegler-Picker, DER STANDARD, 13.1.2014)