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Helmut Rauch galt jahrelang als erster Nobelpreis-Kandidat. Der ehemalige FWF-Präsident führte vor 40 Jahren ein Experiment durch, das die Quantenoptik in Österreich mit begründete.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien - Stellen Sie sich bitte einen Raum mit zwei Türen vor. Und stellen Sie sich außerdem vor, dass Sie gleichzeitig durch beide Türen gehen. Sie halten das für unmöglich und schaffen dieses Gedankenexperiment nicht? Nicht traurig sein: Sie sind nicht allein. Auch der österreichische Physiker Helmut Rauch hält die Idee für "erkenntnistheoretisch schwer verdaulich". Dennoch gelang ihm und seinem damaligen Wissenschafter-Team am 11. 1. 1974, also vor genau 40 Jahren, ein Experiment am Wiener Atominstitut, in dem diese zwei Türen gleichzeitig durchschritten wurden.

Neutronen-Teilchen wurden, so beschreibt Rauch das Experiment gegenüber dem Standard, auf einen aus Siliziumkristallen hergestellten Interferometer geschossen. Dort teilten sie sich in Form von Wellen, wurden gespalten und wenig später wieder übereinander gelagert. Dass Neutronen als massereiche Teilchen ähnlich wie Licht wellenartige Interferenzeigenschaften haben, zeigten schon die US-Amerikaner Clifford Shull und Bertram Brockhouse. Rauch arbeitete auch im Bereich der Neutronenoptik. Aber erst mit seinem vor vierzig Jahren durchgeführten Experiment gelang der Schritt in die Quantenoptik – und zur Erforschung von Eigenschaften, die nur im Rahmen der Quantenphysik vorausgesagt wurden. Als Shull und Brockhouse für ihre Arbeit 1994 den Nobelpreis erhielten, war Rauch freilich nicht dabei, obwohl er als aussichtsreicher Kandidat galt.

Ein sofortiges Medienecho hat es 1974 nicht gegeben. "Das war gar nicht angestrebt. Wissenschafter, die Ergebnisse hatten, schickten ein Paper an Journals. Und das war es dann auch", meint Rauch. Es gab schon Journalisten, die sich für seine Arbeit interessierten, aber erst fünf, sechs Jahre später. Heute wäre das undenkbar. Das weiß auch Rauch, der mit diesem Erfolg mittlerweile als einer der Väter der Quantenoptik gilt und ganz gern vom Glück erzählt, das er damals mit seinem Experiment hatte.

Nach dem gelungenen Experiment wurden Rauch und sein Team nämlich ans Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble eingeladen, den Versuch zu wiederholen. Doch in Frankreich misslang das Experiment, die Überlagerung der Wellen, die von zwei verschiedenen Wegen (zwei Türen) kamen, fand nicht statt. "Die Kollegen sagten schon: Was habt ihr da in Wien gemessen?" Das Scheitern hatte aber einen Grund, für den die Physiker nicht verantwortlich waren: Niederfrequente Gebäudeschwingungen, in Grenoble etwa von Kühlpumpen des großen Reaktors und der nahen Autobahn, störten den Versuch. Im Atominstitut im grünen Wiener Prater blieb das Team von derartigen äußeren Einflüssen ungestört. Rauch: "Eigentlich können wir froh sein, dass es damals noch keine U-Bahn und keine Autobahn da unten gab." Wäre das Experiment auch in Wien nicht gelungen, hätten es wohl Physikerkollegen aus den USA durchgeführt. "Die Amerikaner", erzählt Rauch, "waren uns schon dicht auf den Fersen."

Physiker heben schon seit vielen Jahren Rauchs Bedeutung hervor. Er selbst sagt heute mit einer Mischung aus Bescheidenheit und Stolz: "Unsere Arbeit hat das Gebiet der Quantenoptik schon befruchtet." Und wird darin von Rudolf Grimm, wissenschaftlicher Direktor am Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), bestätigt. Er lässt ausrichten: "Helmut Rauch hat Pionierarbeiten geleistet, die wesentlich zum fundamentalen Verständnis des Wellencharakters von Materie beigetragen haben. Das hat weitreichende Konsequenzen für die heutige Quantenoptik und insbesondere auch für aktuelle Arbeiten mit ultrakalten Atomen." Ein Feld, in dem Grimm sehr aktiv ist.

Helmut Rauch wurde vielfach ausgezeichnet. Am 22. 1. wird der Physiker aus Krems, der auch Präsident des Wissenschaftsfonds FWF war (1991 bis 1994), 75 Jahre alt. Einen zweifachen Grund zum Feiern – 40 Jahre Experiment und 75 Jahre Rauch – sieht er nicht wirklich. Er ist ein zurückhaltender Wissenschafter geblieben und meint, sehr gut damit leben zu können, den Nobelpreis nicht erhalten zu haben.

Rauch ist seit vielen Jahren dem Atominstitut verbunden. Zuerst als Student, später, mit erst 33 Jahren, wurde er Professor für experimentelle Kernphysik der TU Wien und Vorstand des Atominstituts. Einer seiner berühmtesten Schüler, ÖAW-Präsident Anton Zeilinger, sagte über ihn: "Er lehrte mich zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht und dass man nicht unbedingt alles verstehen muss, um eine interessante Frage zu stellen." Bei Rauch waren das nicht nur Worte, er hat diese Einstellung seinen Schülern und Kollegen auch vorgelebt. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 11.1.2014)