"Lassen wir uns nicht täuschen. Es ist ein verzerrtes Bild der Gesellschaft, wenn sich nun alle so tolerant und liberal geben", sagt Ronny Blaschke.

Foto: Privat/Reinaldo Coddou H.

STANDARD: Thomas Hitzlsperger ist der Held dieser Tage. Waren die positiven Reaktionen auf sein Coming-out so zu erwarten?

Blaschke: Auf jeden Fall. Er hat die Debatte rund um Homosexualität im Fußball auf die nächste Stufe gehoben. Die Suche nach einem schwulen Profi hat nun ein prominentes Gesicht. Niemand kann es sich leisten, dies öffentlich abzulehnen. Das ist zum Glück nicht mehr gesellschaftsfähig.

STANDARD: War die bisher vorhandene Angst vor einem Coming-out also übertrieben?

Blaschke: Lassen wir uns nicht täuschen. Es ist ein verzerrtes Bild der Gesellschaft, wenn sich nun alle so tolerant und liberal geben. 25 Prozent der Deutschen haben laut Studien eine latent homophobe Einstellung. Die Regierung von Angela Merkel lobt den Schritt. Aber was würden dieselben Leute sagen, wenn Hitzlsperger ein Kind adoptieren möchte? Vieles ist zu hinterfragen, wenn nicht sogar scheinheilig oder Heuchelei.

STANDARD: Droht Hitzlsperger jetzt ein übertriebener Personenkult?

Blaschke: Gott sei Dank sind die ganzen Talkshows noch in der Winterpause. Es wird auch noch nicht Fußball gespielt. Zeitlich ist das Coming-out jedenfalls gut gewählt. Hitzlsperger macht das clever. Er hat ein seriöses Blatt gewählt, sendet eine Videobotschaft und zieht sich dann vermutlich zurück. Jetzt werden viele Leute gefragt, die vom Thema keine Ahnung haben. Alle äußern sich positiv, unter dieser Glocke wird der Kern des Problems verdeckt.

STANDARD: Wo liegt denn dieser Kern genau?

Blaschke: In den Strukturen des Fußballs. Die sind über Jahrzehnte so gewachsen, dass Fußball als moderner Gladiatorenkampf gilt. Es herrscht ein männliches, raues Klima. Fußballfans fühlen sich überlegen und machen das dem Gegner über Metaphern klar. Homophobe Begriffe haben rassistische abgelöst, weil das weniger kritisch beäugt wird. Die Norm im Fußball ist männlich, weiß, heterosexuell. Homosexualität gilt als Makel und Schwäche. Das muss man langsam aufweichen.

STANDARD: Was muss passieren?

Blaschke: Die Vereine sollten sich offener positionieren, Antidiskriminierungsbeauftragte einsetzen und generell soziale Themen stärker ansprechen. Medien müssten wiederum moderater berichten und weniger auf Glorifizierung, Heldenkult und Männlichkeit Wert legen. Fans und Spieler werden in der Jugend sozialisiert. Da sind ab dem Kindesalter 20 Männer in der Kabine. Dort gilt das Gesetz des Stärkeren, das erzieht nicht zu demokratischem Denken, wo alle willkommen sind und mitdiskutieren dürfen. Hier muss für Aufklärung gesorgt werden.

STANDARD: Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger erhofft sich von Hitzlsperger "eine positive Wirkung auf die Gesellschaft". Müssen Fußballer die Welt retten?

Blaschke: Auch Hitzlsperger kann nicht im Alleingang die Mentalität der Gesellschaft ändern. Das Coming-out ist toll und historisch, aber nicht ausreichend. Allerdings brauchen solche Themen Leitfiguren. Jugendliche haben eine andere Aufnahmefähigkeit, wenn einer ihrer Lieblingsspieler das Thema greifbar macht. Zudem ist der Boden nun aufbereitet, wir werden bald das Coming-out eines aktiven Fußballers sehen.

STANDARD: Haben sich die Medien dann am Thema abgearbeitet?

Blaschke: Irgendwann ist es medial vorbei, das Thema wird uninteressant. Aber wird dadurch die Situation für schwule Spieler besser? Fußballstadien bilden nicht die Gesellschaft ab. Die Struktur bleibt dort männlich homogen. Das Umfeld macht es Minderheiten schwer, sich wohlzufühlen.

STANDARD: In Österreich sagte der Trainer des U21-Nationalteams: "Mir ist das Wort Macho lieber als das Wort Schwuler. Ich weiß, jetzt kommen Mails von der Schwulen-Kommission." Ist Derartiges auch in Deutschland denkbar?

Blaschke: Kein Trainer in einer solchen Position würde es wagen, sich öffentlich so plump und dumm zu äußern. Deutschland ist diesbezüglich relativ weit, trotzdem sollten wir nicht nach Russland oder anderswo hinsehen, um uns selbst auf die Schulter zu klopfen. Es gibt noch viel zu tun.

STANDARD: Wäre ein Trainer in Deutschland nach so einer Aussage rücktrittsreif?

Blaschke: Ob es so weit gehen würde? Bei Rassismus und Antisemitismus auf jeden Fall. Bei Homophobie bin ich mir da noch nicht ganz sicher. 2007 wurde eine Strafe gegen den Dortmunder Torhüter Roman Weidenfeller reduziert, weil er zu Schalke-Spieler Gerald Asamoah nicht "schwarze Sau", sondern "schwule Sau" gesagt haben soll. Die Beleidigungen werden unterschiedlich bewertet.

STANDARD: ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel meinte zuletzt: "Mir ist lieber, es wird für Familien als für Homosexualität geworben." Wie bewerten Sie diese Aussage?

Blaschke: Das ist erschütternd. Und der Mann ist einer der höchsten Sportfunktionäre in Österreich? Unglaublich. Das ist homophob, mit feiner Klinge. Es ist weniger skandalträchtig als 500 Fußballfans, die "schwule Sau" brüllen. Ist aber im Prinzip das Gleiche. Es folgt den gleichen Reflexen und Impulsen. Hat das in Österreich Reaktionen hervorgerufen?

STANDARD: Überschaubare.

Blaschke: Dann hat man leider keine Argumente mehr. Man kann an der Basis nichts machen, wenn oben nichts vorgelebt wird. Das ist traurig. (Philip Bauer; DER STANDARD, 10.1.2014)