Sharon Jones & The Dap-Kings: Give the People what they Want.

Foto: Daptone Records

Die Beschreibung "Kraftwerk" scheint angemessen. Zumindest für jene, die die Dame jemals live erleben durften. Selbst auf Platte klingt sie, als würde der Deckel jeden Moment durchs Dach steigen. Dabei misst Sharon Jones kaum mehr als 160 Zentimeter, aber wahre Größe lässt sich natürlich nicht so profan ermessen. Sharon Jones ist mit ihrer Band, den Dap-Kings, so etwas wie der lebende Grundstein eines kleinen Musikwunders, das der Welt Künstler wie Charles Bradley, Lee Fields, Naomi Shelton und andere mehr beschert hat. Alle veröffentlichen beim New Yorker Daptone Label, allesamt verantworten sie ein groß gewordenes und auf der ganzen Welt wahrgenommenes Soul-Revival, das in Sharon Jones' Fall vor über 20 Jahren begonnen hat. Damals schmiss sie ihren Job als Gefängniswärterin hin und widmete sich fortan nur noch der Musik: klassischem Soul, wie ihn Labels wie Stax oder Chess einst verlegt hatten. Mit dem Chef der Dap-Kings und dem Gründer des Daptone Labels, Gabe Roth, arbeitete sie sich von der Mitternachtseinlage auf privaten Partys zum Welterfolg hoch. Doch bevor nun mit Give the People what they Want ihr fünftes Album erscheint, musste Jones ihre bislang härteste Prüfung ertragen.

Diagnose: Krebs O Im Vorjahr erhielt die 57-Jährige die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Das Kraftwerk schaltete in den Energiesparmodus, der Veröffentlichungstermin des bereits fertiggestellten Albums wurde verschoben, den Rest des Jahres verbrachte Jones nach einer Operation mit Chemotherapie und der Gewöhnung an neue Lebensumstände, die ihr die Erkrankung diktiert. Ende letzten Jahres wurde die Medikamententherapie beendet, und schon im Februar will Jones drei Monate lang auf Tour gehen, um Give the People what they Want live vorzustellen. Schließlich hat sie wie jede halbwegs vertrauenerweckende Soul-Interpretin ihre Karriere in der Kirche begonnen. Und Gospel bedeutet "Good News" - auch noch nach seiner Überführung in weltliche Gefilde. Und so ist das schlimmste Leid in Jones Musik der Herzschmerz, den ihr undankbare Buben zufügen. Das ergibt zwar inhaltliche Überschneidungen mit dem hüftsteifen deutschen Schlager, zum Soul machen derlei Inhalte die Intensität der Vermittlung des erlittenen Ungemachs.

Diesbezüglich reiht sich Jones ein zwischen Größen wie Etta James und anderen Expressionistinnen des Fachs. Anders als James ist Jones jedoch keine subtile Croonerin, sie zählt zu den Shoutern. Ihre überzeugendsten Lieder sind deshalb Uptempo-Songs. Die händeringende und tränenerstickte Ballade ist nicht ihre erste Wahl, sie ist eine Frau der Tat, keine Erdulderin.

Das konveniert mit den Stärken der Dap-Kings. Die Band ist ebenfalls dann am besten, wenn sie das Tempo anzieht. Stranger to my Happiness ist auf dem neuen Album ein klassischer Daptone-Killer: knappe Bläser, frohlockende Background-Sängerinnen und viel Platz für Jones, um ihren Standpunkt klarzumachen. Deshalb verzichtet die Band wohl weitgehend auf die im Soul sonst gerne als atmosphärische Multiplikatoren eingesetzten Keyboards. Das sei dann auch der leise Kritikpunkt an ihren Alben, denn vielleicht wäre sie in den langsamen Stücken besser aufgehoben und überzeugender, wenn eine fette Orgel sie betten würde. Nach dem unentschlossen wirkenden I Learned The Hard Way (2010) klingt Give the People what they Want wie ein Jungbrunnen - das grandiose 100 Days, 100 Nights (2007) erreicht es dennoch nicht.

Mögen ihr noch viele Versuche vergönnt sein, noch einmal so ein Album einzuspielen. (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 10.1.2014)