ModeratorIn: Werte User, liebe Leser, herzlich Willkommen zum derStandard.at-Chat mit Michael Landau. Wir danken dem Präsidenten der Caritas Österreich fürs Kommen und bitten Sie um Fragen.

Michael Landau: Danke für die Einladung und freue mich schon auf Ihre Fragen.

UserInnenfrage per Mail: Im letzten Interview vom 13.November 2013 im Standard haben Sie die Haltung der Caritas bekräftigt: Die Armut bekämpfen, nicht die Armen. Glauben Sie nicht, dass man die Caritas und Diakonie immer mehr als "Sozialkonzerne" sieht, die nur an einer im

Michael Landau: Unsere Kernaufgaben, die Hilfe für obdachlose Menschen, für Menschen am Ende des Lebens, all das ist nur möglich, weil viele Menschen diese Arbeit mittragen, ich denke etwa an die 35.000 Freiwilligen, die Caritas leben, von den Lerncafes bis zu den Suppenbussen. Unsere Kerngebiete sind treue Defizitbringer, aber genau für diese Arbeit gibt es uns.

UserInnenfrage per Mail: Herr Landau, wie würden Sie das Phänomen Armutsmigration innerhalb Europas adressieren?

Michael Landau: Was jetzt in Salzburg, Linz, Wien oder in deutschen Städten sichtbar wird, macht deutlich, Europa muss die Weichenstellung in Richtung einer echten Sozial- und Solidaritätsunion gelingen. Nicht nur die Banken sind "too big to fail" sondern auch der Sozialstaat ist eine notwendige Errungenschaft. Wir können uns einen funktionierend Sozialstaat leisten, was wir uns nicht leisten können, ist ohne ihn zu sein. Konkret müssen hier Bund, Länder aber auch die Europäische Union zusammenarbeiten. Ich erwarte mir eine Aufstockung des Europäischen Sozialfonds (ESF), einerseits zur Armutsbekämpfung in den Herkunftsländern selbst, andererseits auch um die Auswirkungen von Armutsmigration in Ländern wie Österreich oder Deutschland zu lindern.

UserInnenfrage per Mail: Fürchten Sie, dass die deutsche und britische EU-Sozialneid-Debatte auf Österreich überschwingen kann?

Michael Landau: Ja, ich glaube, hier müssen wir sehr genau aufpassen. Der Begriff Sozialtourismus ist so ein Kampfbegriff, der Neiddebatten schürt. Für mich ist das ein angehendes Unwort des Jahres.

Hellcat: Viele Zuwanderer und praktisch alle Asylwerber, die nach Österreich kommen, sind arm. Halten Sie es für sinnvoll, diesen Armutsimport durch eine restriktivere Asyl- und Zuwanderungspolitik zu reduzieren?

Michael Landau: Beim Thema Asyl geht es um internationales Recht zum Schutz von Menschen vor Verfolgung. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention sind auf Punkt und Beistrich einzuhalten. Beim Thema Zuwanderung ist das Recht und wahrscheinlich auch die Pflicht jedes Landes, auf Ordnung zu achten. Aber Faktum ist auch, wir werden eine geordnete Zuwanderung brauchen und Österreich ist heute schon ein Zuwanderungsland und profitiert davon auch.

WLG: Teil2 Könnten Sie bitte (er)klären, wie der Satz "Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand in Österreich seine persönliche Freiheit in die Hände eines noch so qualifizierten Postbeamten legen möchte." wirklich gemeint war?

Michael Landau: Beim Thema Asyl wird mitunter über Leben und Tod eines Menschen entschieden. Hier halte ich jede "angelernte Tätigkeit" für höchst problematisch. Völlig unabhängig davon, ob hier ehemalige Postbeamte oder Chefärztinnen des AKH umgeschult werden. Darum und um nicht anderes ging es mir. Abseits des Asylrechts würde wohl kaum jemand auf die Idee kommen, sich in einem Strafverfahren von einem Krankenpfleger oder von einer Zahnärztin vertreten zu lassen. Grundsätzlich sind Umschulungen sinnvoll, aber das Gebiet ist zu heikel. Das Asyl- und Fremdenrecht ist seit 2006 elf Mal reformiert worden. Selbst spezialsierte Juristinnen räumen ein, dass es hier kaum mehr möglich ist, den Überblick zu bewahren.

UserInnenfrage per Mail: Wie viel Kirche steckt noch in der Caritas? Der Großteil des Budgets kommt von der öffentlichen Hand?

Michael Landau: Wir nehmen Aufgaben im Interesse der Öffentlichkeit wahr, etwa in der Pflege oder in der Sorge für Menschen mit Behinderungen. Und so wird auch ein Teil unserer Arbeit aus öffentlichen Mitteln finanziert. Aber gleichzeitig sehe ich Tag für Tag, dass die etwa 3000 Pfarrgemeinden in Österreich so etwas wie Kraftwerke der Solidarität sind. Hier geschieht ungeheuer viel an Positivem oft im Verborgenen. Unser Land wäre um vieles kälter und um vieles ärmer ohne den Dienst lebendiger Gemeinden.

UserInnenfrage per Mail: Was sagt Landau zu den gestrigen umstrittenen Aussagen des Papstes bezüglich Abtreibung?

Michael Landau: Mir fällt auf, dass sich der Papst in den vergangenen Wochen immer wieder sehr klar dazu geäußert hat, die Wirklichkeit des einzelnen Menschen zu sehen und niemanden zu verurteilen. Das ist eine Haltung, die mir auch persönlich sehr sympathisch ist. Ich glaube, dass wir auf dem Weg des Be- und Verurteilens nicht weiterkommen.

UserInnenfrage per Mail: 2013 ist die Zahl der Kirchenaustritte wieder gestiegen. Was sagen Sie dazu?

Michael Landau: Ich glaube immer, wenn ein Mensch die Kirche verlässt, dann ist das eine ganz starke Anfrage, wie es gelingt, deutlich zu machen, dass Glaube und Leben zusammengehören. Für mich ist Glaube kein moralisches Sonntagsgewand, das zwickt und drückt wenn man es anlegt, sondern ein Weg in die Weite und Freiheit. Was wohl als Kritik zutrifft, die Kirche hat durch lange Zeit auf Fragen geantwortet, die ihr niemand gestellt hat. Aber auf die Fragen, die die Menschen gestellt haben, hat sie nur unzureichend Antwort gegeben. Etwa auf die Themen von Not oder Ungerechtigkeit. Hier hoffe ich auf eine Trendwende mit Papst Franziskus. Sein Besuch auf Lampedusa oder die Fußwaschung im Gefängnis war hier ein starkes Zeichen.

UserInnenfrage per Mail: Was sagen Sie zum Thema Sterbehilfe? Was sagen Sie zu der Absichtserklärung im Regierungsübereinkommen, eine Verfassungsbestimmung zu beschließen, die aktive Sterbehilfe in Österreich verfassungsrechtlich verbietet?

Michael Landau: Es gibt in Österreich einen breiten politischen Konsens, dass Menschen an der Hand eines anderes Menschen sterben sollen und nicht durch die Hand eines anderen Menschen. Das heißt aber auch, wer aktive Sterbehilfe nicht will, muss für optimale Sterbebegleitung Sorge tragen. Für mich ist das daher ein ganz starker Apell, die Hospizarbeit auszubauen. Es darf nicht am Geld scheitern, dass Menschen am Ende des Lebens jene Begleitung und Unterstützung erhalten, die sie brauchen.

UserInnenfrage per Mail: Der Refugee-Protest hat zu keinerlei asylrechtlichen Lockerungen geführt – so ist etwa die Arbeitsaufnahme für AsylwerberInnen nach wie vor untersagt: Woran liegt das? Warum ist es so schwer, in Österreich über dieses Thema vernünftig zu diskutieren

Michael Landau: Der Refugee-Protest hat viele Menschen in Österreich irritiert. Manchmal auch mich. Aber die Refugees haben auf eine Reihe wichtiger Themen hingewiesen. Etwa, dass Menschen im Rahmen des Asylverfahrens zum Teil jahrelang zum Nichtstun gezwungen sind und im Wartesaal des Lebens verharren müssen. Hier hoffe ich, dass es der neuen Bundesregierung gelingt, auch beim Thema Asyl und Migration zu jener sachlichen Diskussion zu finden, die im Bereich Integration in den vergangenen Jahren begonnen hat. Das letzte Treffen der Landesflüchtlingsreferenten war hier ein hoffnungsvolles Zeichen. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesrgierung sich hier diesen lösungsorientierten Zugang in der Debatte zu eigen macht.

English Breakfast: Angenommen ich wäre mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und müßte auf Grund einer gerichtlichen Verurteilung nun eine Freiheitsstrafe antreten. Würde mir die Caritas Unterschlupf gewähren, wie den Servitenklosterflüchtlingen, damit ich dem Gesetz zu

Michael Landau: Flucht ist kein Verbrechen. Wir haben hier Menschen in einer Notsituation unterstützt, das ist unser Auftrag. Und mich hat schon auch die Solidarität vieler Unterstützerinnen und Unterstützer beeindruckt. Das heißt, ich halte nichts davon, Menschen pauschal zu kriminalisieren.

UserInnenfrage per Mail: Haben Sie auf Ihre Forderung an die Regierung, weitere 500 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, schon eine Antwort bekommen?

Michael Landau: Die Bundesregierung hat gesagt, sie sieht keine Notwendigkeit. Wenn sie die Bilder der Kinder im Schnee betrachtet und der Menschen, die unter unvorstellbaren Bedingungen im Libanon oder in Jordanien untergebracht sind, dann ist klar, dass hier internationale Solidarität gefordert ist. Was hier geschieht, ist die größte humanitäre Katastrophe der vergangenen Jahre. 2,3 Millionen Menschen haben ihr Land verlassen müssen. Deutschland hat sein Kontingent von 5000 auf 10.000 verdoppelt. Österreich sollte diesem Beispiel folgen. Die bisherige Hilfe ist anzuerkennen aber ich glaube, wir können mehr. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Österreicherinnen und Österreicher ein weiteres Herz haben als die politisch Verantwortlichen ihnen zutrauen.

EU-Diktatur: Ist es nicht naiv, zu denken wir hätten noch einen Sozialstaat? Dieser wurde doch seit dem EU Beitritt zurückgebaut. Seitdem findet Sozialismus nur statt, wenn sich eine win-win Situation ergibt.

Michael Landau: Wer die Zahlen sieht, weiß auf der einen Seite, Armut ist ein Stück Realität auch in Österreich. 1,2 Millionen Menschen sind armutsgefährdet oder akut arm. Mehr als 260.000 leben in Wohnungen, die sie nicht angemessen warmhalten können. Auf der anderen Seite aber war etwa die bedarfsorientierte Mindestsicherung ein wichtiger Schritt in die richtige Rchtung. Und ich bin froh, dass die Bundesregierung jetzt die Absicht hat, die Familienbeihilfe zu valorisieren. Das heißt, ohne Sozialleistungen wären noch deutlich mehr Menschen in Armutslagen. Aus meiner Sicht geht es darum, Armutsvermeidung und Armutsbekämpfung nicht aus dem Blick zu verlieren. Eine faire Mietrechtsnovelle ist dazu ebenso unerlässlich, wier der leistbare Zugang zu Gesundheit und Pflege oder auch zu Bildung.

wirkleistung: Was halten Sie vom bedingungslosen Grundeinkommen, wie es die Wissensmanufaktor vorschlägt?

Michael Landau: Das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens wird immer wieder diskutiert, auch von der katholischen Sozialakademie. Und auch ich halte das für eine spannende Debatte. In der aktuellen Situation glaube ich aber, dass die Weiterentwicklung der bedarfsorientierten Mindestsicherung realistischer und rascher zu verwirklichen ist.

UserInnenfrage per Mail: Die Caritas wirkt auf mich wie ein nach amerikanischem Muster aufgebauter Betrieb mit straffen Hierarchien und hat Teilorganisationen in jedem Bundesland. Warum hat die Caritas im Gegensatz zu der Diakonie und vielen anderen NGO noch kein Spendengüt

Michael Landau: Die Caritas ist kein Konzern, sondern ein starkes Netz starker Diözesen. Unsere Kraft kommt von unten, kommt aus der täglichen Arbeit. Einzelne Diözesen haben auch ein Spendengütesiegel und zum Teil sind die Auflagen im Bereich der Caritas strenger als die Erfordernisse des Spendengütesiegels. Bei Interesse: Unser Jahresbericht ist auch im Internet www.caritas.at .

UserInnenfrage per Mail: Wie ist es um die Spendenfreudigkeit der Österreicher dzt bestellt? Wie versucht die Caritas, sich im Match der Fundraiser durchzusetzen?

Michael Landau: Wir sind als Caritas eine der stärksten Hilfsorganisationen weltweit. Aber klar ist auch, wir sind nur so stark, wie die Menschen, die unsere Arbeit Tag für Tag mittragen durch Zeit, durch Spenden, durch persönliches Interesse und Anteilnahme. Ich habe den Eindruck, dass es in unserem Land viel Solidarität gibt, wenn ich etwa an die Flutkatastrophe in Österreich im vergangenen Jahr denke. Und gerade auch im Bereich der Young Caritas zeigt sich die Einsatzbereitschaft junger Menschen in beeindruckender Weise. Eine Generation von Egoisten sieht anders aus.

MartinRJF: Wieso wird in vielen Wiener Obdachloseneinrichtungen (Beispiel Gruft) Ausländern der Zutritt verwehrt? Was kann man ändern, damit dort in Zukunft 'Gleichberechtigung' (für Menschen egal welcher Herkunft) herrschen kann? Gibt es dort mittlerweile sch

Michael Landau: Wir haben im Bereich der Caritas Wien vor geraumer Zeit mit der zweiten Gruft eine eigene Einrichtung mit der Zielgruppe obdachloser Menschen aus den benachbarten EU-Ländern und aus den Bundesländern eröffnet. Hier ist auf der einen Seite klar, wir können das Thema der Wohnungslosigkeit in der Ostslowakei nicht durch das Öffnen der Wiener Obdachloseneinrichtungen lösen. Das muss am Ort geschehen. Auf der anderen Seite darf niemand im Winter unversorgt auf der Straße stehen und das ist auch eine Überzeugung, die uns mit der Stadt Wien verbindet. Hier hat sich in den vergangenen Jahren einiges sehr positiv weiterentwickelt. Und darüber bin ich froh.

UserInnenfrage per Mail: Bei Ihrem Antritt sagten Sie, Sie wollen "wo notwendig auch beharrlich und unangenehm sein". Gab es bereits einen Fall, wo Sie unangenehm werden mussten?

Michael Landau: Ich glaube, dass nicht alle eine Freude damit gehabt haben, dass wir jetzt mehrmals auf das Thema Entwicklungsarbeit hingewiesen haben. Aber wenn der Außenminister sagt, das ist kein Ruhmesblatt für die Republik, dann hat er völlig recht. Das Regierungsprogramm hat hier durchaus starke Punkte, wenn das Ziel der 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens gesetzlich festgehalten werden soll. Aber entscheidend wird der Mut beim Umsetzen sein. Ich bin auch nicht sicher, ob die Innenministerin über alle unsere Punkte Freude hat, aber das ist auch nicht unser Kernauftrag.

RobertDummy: Mich würde interessieren, wieviel Prozent meiner Spende wirklich den Notleidenden zugute kommen und was an die Verwaltung und Gehälter usw. ausgegeben wird.

Michael Landau: Unsere Zentralverwaltungskosten liegen etwa bei 7,5 Prozent. Das ist der Vorteil einer größeren Organisation, dass wir hier unsere Kraft wirklich in die Umsetzung stecken können.

katziankaklaus: Ich habe das Volksbegehren PFLEGE LEISTBAR am 28. Nov. 13 gestartet. Kann ich Sie in Wien einmal persönlich treffen?

Michael Landau: Das kann ich aus dem Stehgreif nicht sagen, aber ich denke, das Thema Pflege ist ein ganz wichtiges Zukunftsthema. Hier bedauere ich, dass mit dem neuen Regierungsprogramm kein Systemwechsel gelungen ist. Nach wie vor muss man zum Sozialfall werden, bevor man Unterstützung erhält. Ich bin überzeugt, wir brauchen in diesem Bereich einheitliche Qualitäts-, Versorgungs- und Finanzierungsstandards, und zwar vom Bondensee bis zum Neusiedlersee. Heute ist die Üebrsiedlung von einem Bundesland in das andere oft ein Drama. Das kann nicht sinnvoll sein.

ModeratorIn: Die Stunde ist vorbei, leider konnten wir nicht alle Fragen berücksichtigen. Wir danken Michael Landau fürs Kommen, Ihnen fürs Dabeisein und wünschen uns allen noch einen schönen Dienstag.

Michael Landau: Vielen Dank für das Interesse und die engagierte Diskussion. Und ich glaube, dass es gemeinsam möglich ist, auch an einer faireren und gerechteren Gesellschaft mitzubauen, wo Menschen aufeinander achten. Da kommt es auf jede und jeden Einzelnen an.