Was können wir von der Steinzeit lernen? Vor allem etwas über zeitgenössische Erwartungshorizonte.

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"Wie hat sie dich denn dazu breitgeschlagen?!" "Aber sie kümmert sich dann drum, oder?" "Dass du das mit dir machen lässt!" Mit solchen oder ähnlichen Aussagen wird ein Mann konfrontiert, wenn er sich wie ich noch weitere Kinder wünscht beziehungsweise vorstellen kann. Natürlich nicht nur mit solchen. Aber neben sehr ermutigenden Kommentaren oder sachlich begründeten Bedenken gibt es immer auch die, die darauf abzuzielen scheinen, dass so ein "richtiger Kinderwunsch" beim Mann biologisch ja nicht wirklich vorhanden sein kann. Zumal wenn Stammhalter und Püppchen schon gezeugt worden sind. Männer wie Frauen werden zur Beweisführung dieser Thesen gerne in die Steinzeit transferiert und mit entsprechenden Höhlengleichnissen versehen. Als Mann darf ich demnach (oder bin vielmehr dazu verpflichtet) ein reges Interesse an Sexualität haben, weil ich darauf programmiert bin, mein genetisches Material möglichst breit zu streuen.

Männer Sexualität, Frauen Pflege

Und eine Frau hat in der Pflege und der Erziehung des Nachwuchses aufzugehen. Wegen der Biologie. War ja auch schon immer so. Deshalb nimmt man Männern wie mir nicht ab, dass sie an der Pflege und Erziehung ihrer Kinder interessiert sind und glaubt Frauen, wie der Autorin, die unter dem Pseudonym "Rufende Nebelkrähe" für den unbedingt lesenswerten Blog Fuckermothers Gastbeiträge schreibt, nicht, dass sie genauso gut oder schlecht von ihrem Kind getrennt leben kann wie Väter es tun.

Für "sie als Mutter" gelten ganz andere Regeln als für "mich als Vater". Und diese Regeln besagen eindeutig, wer von uns beiden was zu können und was nicht zu schaffen hat. Ihnen zufolge hat es Vätern gefälligst schwerer als Müttern zu fallen, sich emotional an ihre Kinder zu binden und für sie in allen Bereichen Verantwortung zu übernehmen, wohingegen es Müttern bitteschön praktisch unmöglich sein sollte, etwas anderes zu empfinden als das, was gemeinhin als instinktive Mutterliebe bezeichnet wird.

Mutterliebe als soziales Konstrukt

Dass dieser vorgebliche Instinkt in Wirklichkeit ein soziales Konstrukt ist, welches durch geschichtliche Veränderungen und gesellschaftlichen Anpassungen geformt wird, ist keine neue Erkenntnis. Die ist von der französischen Philosophin Elisabeth Badinter schon vor über 30 Jahren formuliert worden.

Doch darüber hinaus scheint die Historisierung und Biologisierung von sozialen Normen eine generelle Strategie zu sein, um die gegenwärtigen Verhältnisse zu legitimieren und für plausibel zu erklären. Das Autorenduo Christopher Ryan und Cacilda Jetha  hat in ihrem leider nicht auf Deutsch erhältlichen Bestseller "Sex at Dawn" dafür einen nützlichen Begriff gefunden: Flintstonisierung.

Steinzeitliche Gesellschaftsfiktionen

Er beschreibt das Phänomen, dass in der Zeichentrickserie "Die Familie Feuerstein" ("The Flintstones") die Gegenwartskultur von 1959 - 1966 als Blaupause für eine steinzeitliche Gesellschaftsfiktion verwendet wurde und überträgt dies auf unseren grundsätzlichen Umgang mit Steinzeitreferenzen. Die fallen nämlich in Ermangelung von Datenmaterial und aufgrund der Sehnsucht nach einer Rechtfertigung der gegenwärtigen Verhältnisse zu unterschiedlichen Zeiten sehr unterschiedlich aus. Ein Stück wie "Caveman" hätte in den Theatern vor 50, 100 oder 500 Jahren nicht nur ganz anders ausgesehen sondern auf eine ganz andere Steinzeit zurückgegriffen. Eine viktorianische etwa oder eine romantische.

Wir sind also weniger an das gebunden, was wir gerade aktuell für Verhaltensweisen "aus der Steinzeit" halten, als an die Erzählungen darüber und den damit verbundenen Erwartungshorizont. Hinter diesem Horizont liegt die Möglichkeit, sich nicht zwingend so verhalten zu müssen, wie Frauen und Männer es als Mütter und Väter nach gegenwärtigen Erzählvorgaben zu tun haben, sondern eben menschlich. Und es soll ja Menschen geben, die gerne mehr Kinder hätten. Mich zum Beispiel. (Nils Pickert, dieStandard.at, 9.1.2014)