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Kim Jong-un, hier bei einer Inspektion des nordkoreanischen Skigebiets Masik, will raus aus der Isolation.

Foto: Reuters/Yonhap

Pjöngjang/Seoul/Peking – Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un brauchte 30 Minuten, um seine TV-Neujahrsrede zu verlesen. Das meldete Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, deren Korrespondenten direkt aus Pjöngjang berichten dürfen. Südkoreas Agentur Yonhap in Seoul zählte nur 25 Minuten. Sicher war nur, dass Kims Neujahrsbotschaft – 20 Tage nachdem er seinen politischen Vormund und Onkel Jang Song-theak verhaften und hinrichten ließ – zu den längsten Reden gehörte, die zum Jahreswechsel gehalten wurden. Sie ist auch am schwersten zu deuten.

Die Interpretationen gingen weiter auseinander als die Zeitangaben. Die einen schrieben, Kim drohe erneut mit Atomkrieg. Yonhap meinte dagegen, Kim biete Südkorea einen "Olivenzweig für bessere Beziehungen" an. Xinhua sprach gar von einem "beruhigenden und ermutigenden Zeichen".

Solch unterschiedliche Deutungen passen zu diesem Diktator, der immer wieder mit unerwar­teten, oft skurrilen Entschei­dungen von sich reden macht. Das soll so weitergehen: So will Kim am 8. Jänner seinen 31. Geburtstag mit einem Match zwischen US-Basketballern und Nordkoreas Nationalmannschaft feiern. Sein Freund, Ex-NBA-Basketballstar Dennis Rodman, richtet es aus.

Auch in der Neujahrsrede versteckte Kim eine Überraschung: Im Schlussteil streckte er Friedensfühler zum verfeindeten Bruderstaat aus. Er sei bereit "zum Handschlag mit jeder Person in Südkorea, die der Nation und den Wünschen zur Wiedervereinigung Priorität einräumt und sich für bessere innerkoreanische Beziehungen einsetzt". Kim hob hervor, "es sollte ein günstiges Klima für verbesserte Beziehungen zwischen dem Norden und dem Süden geschaffen werden".

Nordkoreas Agentur KCNA veröffentlichte fast zeitgleich mit der Rede auch die englische Übersetzung. Ein "Signal des Friedens", titelte Chinas Global Times.

Südkoreas Öffentlichkeit fiel auf, dass Kim auf Säbelrasseln verzichtete. Nur einmal drohte er indirekt: Er warnte vor den von USA und Südkorea geplanten Manövern. Die Gefahr sei groß, dass es zu kritischen Situationen komme. Ein "zufälliger militärischer Zusammenstoß kann Krieg auslösen. Die Folge würde eine tödliche Nuklearkatastrophe sein. Die USA wären niemals sicher."

Obwohl an Südkoreas Hochschulen Stimmen laut wurden, die Staatspräsidentin Park Geun-hye aufforderten, Kims Angebot zu begrüßen, gibt es in der Öffentlichkeit dafür keinen Markt. Und auch Park reagierte zurückhaltend: Im Telefonat mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moon nannte sie am Donnerstag die aktuelle Lage in Nordkorea weiter als "schwer voraussagbar". Aus gutem Grund: Südkoreas Massenblatt Chosun Ilbo erinnerte daran, wie Pjöngjang im Dezember 2012 eine Interkontinentalrakete erproben ließ. Nach der weltweiten Empörung offerierte Kim zu Neujahr 2013 Entspannung. Das Angebot hielt nicht lange: Schon im Fe­bruar 2013 kam es zum dritten Atomtest Nordkoreas.

Kein Wunder, dass in Seoul Misstrauen überwiegt. Einheitsminister Ryoo Kihl-jae verlangte vom Norden Schritte zur Atom­abrüstung. Südkoreas Verteidigungsminister Kim Kwan-jin sagte ebenfalls, dass Kim nicht zu trauen sei. Auch Außenminister Yun Byung-se mahnte zu "besonderer Vorsicht". Dort "wachsen Unsicherheiten und Wechselhaftigkeit in der Politik", sagte er.

Nordkoreanisches Kalkül

Chinas außenpolitische Experten machen sich anders als die offizielle Presse auch einen skeptischen Reim auf die Neujahrsrede: Zhang Liangui von der Parteihochschule sagte dem Standard, hinter Kims Wunsch nach Verbesserung der Beziehungen stehe ein Kalkül, Südkoreas Sanktionen zu lockern. Seit Mai 2010 hatte Seoul in sieben Bereichen bis auf die humanitäre Hilfe alle Unterstützung eingestellt. Zhang: "Dies hat den Norden hart getroffen." Mit der Hinrichtung des Onkels habe sich Pjöngjang noch stärker isoliert und zugleich sein Verhältnis zu China belastet. Kim suche nun über Südkorea nach Auswegen.

Kims Rückblick auf den internen Machtkampf sei keine Rechtfertigung, so Zhang. Die politischen Säuberungen würden weitergehen. Immerhin schließt der Nordkorea-Experte die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Atomtests aus. "Ein Land wie Nordkorea braucht mindestens zwei Jahre, bevor es einen weiteren Test unternehmen kann."  (Johnny Erling /DER STANDARD, 3.1.2013)