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Bewaffnete Islamisten in der irakischen Stadt Ramadi.

Foto: Reuters/Stringer

Bagdad/London – Kämpfer der Al-Kaida-nahen Miliz Islamischer Staat im Irak und Syrien (Isis) haben in der irakischen Provinz Anbar im Westen des Landes mehrere Ortschaften unter ihre Kontrolle gebracht. Zudem kontrollierten die Islamisten am Donnerstag Teile der Städte Falluja und Ramadi.

Wie Mitarbeiter mehrerer Nachrichtenagenturen aus der Stadt meldeten, fuhren Autos und Lastwagen mit der Flagge der Isis sowie Lkws mit zahlreichen schwer bewaffneten Männern durch die Straßen der nur rund 60 Kilometer von Bagdad entfernten Stadt.

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte, rund die Hälfte von Falluja sei in der Hand der Isis, die andere Hälfte werde von Stammesangehörigen kontrolliert. Diese kooperieren mitunter mit der Zentralregierung in Bagdad.

Diese reagierte mit der Entsendung von Spezialeinheiten, die sich, wie es am späteren Nachmittag hieß, in "heftigen Kämpfen"  mit den Aufständischen befanden. Auch aus der unweit von Falluja gelegenen Stadt Ramadi wurden Zusammenstöße gemeldet; auch dort soll die Isis mehrere Stadtviertel kontrolliert haben.

Vorausgegangen waren der neuen Gewalt in der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz Demonstrationen gegen die Festnahme des sunnitischen Abgeordneten Ahmed al-Alwani am vergangenen Samstag. Auch die gewalttätige Räumung eines sunnitischen Protestlagers in der Stadt Ramadi am Montag, bei der mindestens 14 Menschen starben, erhöhte die Spannungen weiter.

Am Mittwoch hatten Bewaffnete dann in Falluja beim Überfall auf eine Polizeistation über hundert Häftlinge befreit und Waffen gestohlen. Zudem hatten Angreifer mindestens zehn weitere Polizeistationen in Anbar sowie mehrere Fahrzeuge der irakischen Sicherheitskräfte niedergebrannt.

Bisher war die Isis-Miliz vor allem im syrischen Bürgerkrieg in Erscheinung getreten, wo sie gegen die Assad-Truppen kämpft. Ein Bericht von Amnesty International warf ihr jüngst Folter und Misshandlung vor. Vergehen wie Zigarettenrauchen oder vorehelicher Sex würden ihren extremen Vorstellungen des islamischen Rechts folgend streng bestraft.

Ein Selbstmordattentäter hat am Donnerstag mindestens zwölf Menschen mit in den Tod gerissen. Der Attentäter sprengte sein mit Sprengstoff beladenes Auto in der rund 50 Kilometer südöstlich von Bakuba gelegenen Stadt Balad Rus in die Luft, wie die Behörden mitteilten. Rund 25 weitere Menschen seien verletzt worden. Wer hinter der Tat steht, war zunächst nicht bekannt.

Tödlichstes Jahr seit 2008

Insgesamt sind der Gewalt im Irak 2013 so viele Menschen zum Opfer gefallen wie seit 2008 nicht mehr. Das geht aus Zahlen hervor, die die in Großbritannien ansässige NGO Iraq Body Count (IBC) publiziert hat. Demnach fielen in diesem Zeitraum 9475 Zivilisten Anschlägen und Kämpfen zum Opfer. Höher war die Zahl zuletzt 2008 mit 10130 zivilen Opfern.

IBC verweist darauf, dass sich 2013 zwei Drittel der gewaltsamen Tode in der zweiten Jahreshälfte ereigneten. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, dann könnte 2014 laut der Organisation ein besonders blutiges Jahr werden.

Signifikant niedrigere Zahlen nennt die irakische Regierung: Ihr zufolge wurden 2013 7154 und 2008 8995 Menschen getötet.

IBC wurde nach der Invasion der US-Truppen 2003 gegründet. Die USA führten damals nur Zählungen der eigenen Opfer durch, eine Statistik für zivile Personen fehlte. Ihre Methode gilt als umstritten: Für die Zählung werden englischsprachige Medienberichte herangezogen (inklusive arabischer Medien mit einer englischen Ausgabe). Das kann wegen Lückenhaftigkeit und unbeabsichtigter Doppelungen zu Verzerrungen führen. Dennoch gilt die Zählweise von IBC als vergleichsweise akkurat. Andere Quellen weisen teils weit höhere Zahlen aus. Die höchste Zahl nennt das Londoner Forschungsinstitut Opinion Research Business mit über 1,2 Millionen Toten seit 2003.

Die bisher blutigsten Jahre waren 2003, 2006 und 2007. Insgesamt kamen laut IBC-Zählung bisher bis zu 133.000 Zivilisten ums Leben; zählt man Kämpfer dazu, lautet die Zahl 184.000. (red/DER STANDARD, 3.1.2014)