Bild nicht mehr verfügbar.

Zapatisten-Chef "Subcomandante Marcos" vor einigen Jahren bei einer Demonstration in Mexiko-Stadt. Rund 40.000 Menschen sind 20 Jahre nach dem Aufstand im Bundesstaat Chiapas Mitglied der Bewegung. Viele ihrer Hoffnungen blieben bisher unerfüllt.

Foto: REUTERS/Daniel Aguilar

"Nimm einen Zapatisten mit! Nur zehn Pesos! Na gut, für dich acht", fleht die alte Indígena-Frau vor dem Kloster Santo Domingo und hält eine Strickpuppe in die Höhe. Die Geschäfte laufen schlecht, da gibt es die Revolution schon einmal auch im Ausverkauf. In San Cristóbal de las Casas, der Kolonialstadt im Herzen des alten Mayareiches in den Bergen Südmexikos, leben Vergangenheit und Moderne in skurrilem Nebeneinander. Der Schauplatz der "ersten postkommunistischen Revolution", so der Literat Carlos Fuentes, unterscheidet sich 20 Jahre später kaum vom Rest Mexikos.

Wo zu Neujahr 1994 mit Flinten bewaffnete und mit Skimützen vermummte Indígenas den Politikern die Feier aus Anlass des Inkrafttretens des Nordamerikanischen Freihandelspaktes Nafta verdarben, vergnügen sich nun johlende Teenager auf einer überdachten Kunsteisfläche.

"Eine andere Welt ist möglich", ist auf der Zapatistenpuppe eingestickt. "Die Zapatisten forderten damals ein Entwicklungsmodell, das die Rechte und Kultur der indigenen Völker berücksichtigt und nicht nur Konsum und Kapital", sagt Victor López vom Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas, das die Zapatisten unterstützt. Doch die mexikanische Regierung habe die Botschaft nicht verstanden. 20 Jahre später seien Indígenas weiterhin marginalisiert, während der Bundesstaat als Handelskorridor zwischen Mittelamerika und Mexiko entwickelt werde.

Verblasste Illusionen

Die Zapatisten waren die Vorläufer indigener Bewegungen, die später in Ecuador und Bolivien an die Macht kamen. Ihr antikapitalistischer Diskurs und ihre berechtigte Forderung nach einem Ende der 500-jährigen Diskriminierung traf aber auch den Nerv zivilisationsmüder Europäer und Nordamerikaner. Die Sandalen-Truppe mit dem pfeiferauchenden Poeten an der Spitze, der sich selbst "Subcomandante Marcos" nannte, weil der einzig wahre Kommandierende das Volk sei, weckte Illusionen.

1996 schlossen Regierung und Zapatisten Frieden, seitdem leben sie nebeneinander her. Der Vertrag wurde in San Andrés Larráinzar unterzeichnet, einem nebelverhangenen Bergdorf. Die Schule, die damals der Tagungsort war, ist voriges Jahr abgebrannt, auch sonst macht der vermüllte Hauptplatz einen bemitleidenswerten Eindruck. Auf den Bänken lungern Schnapsleichen.

Die Zapatisten haben das frühere Rathaus besetzt. Im eiskalten Empfangsraum sitzen fünf Männer um eine Schreibmaschine. Auf die Bitte nach einem Interview verstummen sie: Presse ist unerwünscht, hat Marcos erklärt. Selbst wenn das Zapatistische Befreiungsheer EZLN in den "Juntas der Guten Regierung" eine politische Parallelorganisation hat: Es gilt der Befehl der Militärführung.

Der offizielle Bürgermeister musste sich fünf Minuten entfernt einen neuen Amtssitz bauen. Ein trostloser Betonklotz mit Resopal-Tischen und Linoleumböden.

Narciso Díaz ist gerade 35 Jahre alt, Indígena und gehört der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) an. Er verkörpert das, was für die Zapatisten der "schlechte Staat" ist: einen Paternalismus, der die Bevölkerung mit Almosen abspeist. Vor Weihnachten wurde Extra-Sozialhilfe verteilt. Man munkelt, er bevorzuge Parteifreunde, was Díaz abstreitet. Jeder, der es nötig habe, bekomme Hilfe. Aber die Zapatisten seien im Widerstand und wollten nichts mit dem Staat zu tun haben.

Sie haben ihre eigene Gesundheitsstation, eigene Kooperativen, eine eigene Schule, in der in Indígena-Sprachen unterrichtet wird. Aufgebaut vom Geld der internationalen Solidarität, das jedoch im Laufe der Jahre ziemlich zusammengeschrumpft ist. Strom und Wasser zapfen sie vom Netz, ohne zu bezahlen. Auf 800 schätzt Díaz die Zapatisten in seiner 8000-Einwohner-Gemeinde; im Bundesstaat sind es noch etwa 40.000 von 3,2 Millionen Einwohnern.

Doppelte Strukturen

Der Staat hat Millionen investiert in den Ausbau von Straßen, Spitälern und Schulen im einst so vernachlässigten Bundesstaat. "Das soll die Gemeinden spalten und ist Bestandteil der antisubversiven Strategie", kritisiert López. Damit wurde auch San Andrés in eine prekäre Modernität katapultiert. Trotz der staatlichen Steinhäuser gibt es weiterhin keine Arbeitsplätze und keine Alternative zur Subsistenzwirtschaft.

Weil er keinen Fortschritt sah, hat Alfredo Hernández die Zapatisten vor einigen Jahren verlassen und ging als Erntehelfer in die USA. "Nach außen hin klingt die Welt der Zapatisten schön, aber sie ist die Hölle. Man darf nichts selbst entscheiden, und was man verdient, muss man abgeben." Vor ein paar Jahren ist er zurückgekehrt und bebaut nun ein eigenes Stück Land.

Die Landfrage war damals der Hauptgrund für den Zapatistenaufstand. Der fruchtbare Boden gehörte Großgrundbesitzern, die schnell wachsende Indígena-Bevölkerung wurde auf winzige Parzellen in den Bergen abgedrängt. Mit der Rebellion einher ging eine kleine Landreform, allerdings nur für Zapatisten. Wer die Bewegung verlässt, verliert seinen Anspruch. Hernández schüttelt traurig den Kopf. Dass er sich 20 Jahre später noch immer von Maistortillas und Bohnen ernähren würde, habe er sich so nicht vorgestellt. Als "Tragödie" bezeichnet der Soziologe Marco Antonio Estrada vom Forschungsinstitut Colmex die Situation. Man habe aus Mangel an Dialogbereitschaft und Toleranz auf beiden Seiten damals eine "historische Chance" zur Entwicklung des Bundesstaates und zur Wiedergutmachung an den Indígenas verpasst. (Sandra Weiss aus San Cristóbal des las Casas, DER STANDARD, 2.1.2014)