In vielen Wohnzimmern, unter vielen Christbäumen, war in diesen Feiertagen die neue Regierung ein Gesprächsthema. So schwach! Keine Visionen! Keine Leadership! Wie soll das nur weitergehen? Jedenfalls alles furchtbar. Ja, ja, schon gut. Wir haben eine nicht besonders aufregende Regierung. Geschenkt. Aber das allgemeine Lamento darüber wird langsam ein bisschen öd.

Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als hätten wir uns alle im Lauf der Zeit in politischen Fragen eine Art Konsumentenhaltung angewöhnt. Wir sind Zuschauer, und zwar anspruchsvolle Zuschauer. Wir sitzen da wie im Theater, bequem zurückgelehnt, und warten darauf, was uns auf der Bühne geboten wird. Wehe, die Schauspieler sind nicht erstklassig. Wehe, die Regie ist einfallslos. Dann verweigern wir den Applaus, rufen buh und gehen beleidigt nach Hause. Ein Jammer und eine Frechheit, versichern wir einander beim Abendessen, was aus dem Theater - und aus der Politik - geworden ist. Wenn man da an frühere Zeiten denkt! Max Reinhardt! Bruno Kreisky! Und heute? Lauter Zwerge.

Jedes Land hat die Regierung, die es verdient, heißt es oft. Wer ist schuld, dass die Regierenden so sind, wie sie sind? Dass die Parteien so sind, wie sie sind? Wir haben sie schließlich gewählt. Niemand hat die Kritiker, besonders die jüngeren, daran gehindert, selbst in die Politik zu gehen und es besser zu machen. Im Gegenteil, junge Leute in der Politik sind heute, weil sie so rar sind, gefragter denn je. Freilich, die meisten, denen man diese Frage stellt, antworten entsetzt: ich in die Politik? Um Gottes willen! In diese Parteien? Mit diesen Leuten? Das würde ich mir niemals antun. Wenn einige dann doch in die Arena steigen, wie einst die Grünen und jetzt die Neos, zeigt sich, dass sie auch keine Genies sind. Aber sie haben es wenigstens versucht.

Die Regierung, die wir haben, hat Schwachstellen. Aber so schlecht ist sie wieder auch nicht. Der Sozialminister und der Wirtschaftsminister, mittlerweile alte Schlachtrösser, machen solide Arbeit. Der neue Justizminister scheint in Ordnung zu sein, und der Herz-Jesu-Landwirtschaftsminister gilt als Top-Fachmann. Und irgendetwas müssen die Koalitionäre auch in der Vergangenheit richtig gemacht haben, sonst stünde das Land nicht vergleichsweise so gut da. Wir jammern auf hohem Niveau.

Und ist eigentlich alles, was im Lande gut oder schlecht läuft, das Werk der Regierung? Wer in den letzten Monaten in Österreich herumgekommen ist, hat festgestellt, dass es fast überall hervorragende Leute gibt, die auf den verschiedensten Gebieten einen guten Job machen. Sei es als Unternehmer, als Fachleute, als zivilgesellschaftliche Aktivisten. Ja, wir haben eine miserable Fremdenpolitik. Aber wir haben Menschen, die es doch irgendwie schaffen, Zuwanderern und Asylwerbern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Ja, unsere Bildungspolitik ist reformbedürftig. Aber es gibt Lehrer, bei denen die Kinder trotzdem eine Menge lernen.

Jammern und Schimpfen ist in einem freien Land gottlob nicht verboten. Aber manchmal sollten wir auch daran denken, die Relationen zu wahren. (Barbara Coudenhouve-Kalergi, DER STANDARD, 2.1.2014)