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Der American Way of Life: Ein Traum, der auch außerhalb der USA geträumt wurde.

Foto: Reuters/Thayer

Wien - Viele Jahre war der American Way of Life der Traum, der von vielen auch außerhalb der USA geträumt wurde. Und der Marlboro-Man, der hoch zu Ross vor Freiheitswillen strotzt, war quasi das zum Werbesujet geronnene Sinnbild dafür. Das ist Geschichte. Die amerikanische Gesellschaft ist nicht mehr die, die sie einmal war. Und deshalb wird eventuell möglich, was bisher ausgeschlossen schien: dass die USA den European Way of Life kopieren.

US-Präsident Barack Obama hat von der "größten Herausforderung unserer Zeit" gesprochen. Bill de Blasio, der Michael Bloomberg als Bürgermeister von New York abgelöst hat, machte dasselbe Thema zum Leitspruch seines Wahlkampfs: Einebnung der Kluft zwischen Arm und Reich. Weil es in der amerikanischen Gesellschaft, wo einst Tellerwäscher zu Millionären werden konnten, soziale Mobilität kaum mehr gibt, geht der Kitt zwischen den verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen zunehmend verloren. Wer reich ist, wohnt unter seinesgleichen; wer arm ist, wohnt arm und bleibt arm. Und genau das gefährdet, wenn nicht rechtzeitig und in breitem Stil gegengesteuert wird, den wirtschaftlichen Aufschwung samt der in Gang befindlichen Reindustrialisierung.

Rückkehr der Industrie

Die Rückkehr der Industrie in die USA sei mehr als Gerede. "Das ist ein Faktum", sagt etwa Österreichs langjähriger Wirtschaftsdelegierter in New York, Christian Kesberg. Volkswirtschaftliche Zahlen zeigten, dass der industriell-gewerbliche Sektor seit der Rezession doppelt so schnell gewachsen ist wie andere Bereiche, dass Unternehmen Produktionsprozesse und Jobs in die USA zurückführen. Nun rächten sich Versäumnisse, die in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht zuletzt auf Druck der Finanzmärkte wissentlich in Kauf genommen wurden: Erosion der industriellen Ökosysteme und Bildungslücken.

Digitalisierung und Globalisierung haben die Segmentierung von Produktions- und Innovationsprozessen technisch ermöglicht. Ein Unternehmen wie Apple konnte seinen Verkaufsrenner iPhone in Cupertino entwickeln und in China produzieren - zunächst ohne sichtbare Nachteile.

Während in Europa hinter Betrieben häufig Familien stehen, ist die Unternehmensfinanzierung in den USA viel kapitalmarktlastiger. Da geben Banken, Fonds und Investoren die Marschrichtung vor.

Auslagerung in großem Stil

Die Kapitalmärkte haben in der Regel Firmen begünstigt, die sich von allem trennten, was nicht unmittelbar Geld brachte. Das rächt sich nun. Es fehlen qualifizierte Leute, die wissen, wie man mit einer Fräse umgeht oder mit einer Presse. Solche Arbeitsprozesse und vieles andere wurden in großem Stil nach Asien ausgelagert. Ansätze, die vertikale Integration aufzugeben, gab es in Europa auch. Aber der industrielle Humus wurde nie zur Gänze zerstört.

In Europa, insbesondere in Deutschland, Österreich und der Schweiz, gibt es ein funktionierendes industrielles Ökosystem mit Verbänden, die die Unternehmen unterstützen, mit einem Schulsystem, das nicht nur die Eliten fördert und einer dualen Ausbildung, auf die nun auch die Amerikaner aufmerksam werden. Kesberg, der Wirtschaftsdelegierte in New York, wird nach Eigenangaben immer häufiger mit Fragen konfrontiert, die die Lehrlings- und generell Mitarbeiterausbildung betreffen.

Die USA könnten sich in Zukunft auch deshalb stärker an Europa orientieren, weil der krasse Unterschied zwischen Arm und Reich sozialen Sprengstoff birgt. Langsam beginnt sich offenbar auch jenseits des Atlantiks die Erkenntnis durchzusetzen, dass das soziale Ungleichgewicht wachstumshemmend ist. Nobelpreisträger Paul Krugman hat erst kürzlich wieder in einem Zeitungsbeitrag argumentiert, die Regierung sollte mehr Geld dafür ausgeben, ein soziales Sicherheitsnetz zu knüpfen, statt vor allem Schuldenreduktion anzustreben. (Günther Strobl, DER STANDARD, 2.1.2014)