Traiskirchen - Das Schlimmste, was einem Tschetschenen passieren kann, ist Einsamkeit. Und Berge - die Angst vor russischen Überfällen, vor Scharfschützen, Plünderungen und Mord ist auch bei den Flüchtlingen in Traiskirchen noch sehr groß. Deshalb sind sie auch im Lager am Liebsten unter sich.

"Bei uns hat es nie so etwas wie Aristokratie gegeben. Unsere Hierarchie basiert auf dem Alter der Menschen", sagt Frau K. Sie zählt in Traiskirchen zum "Ältestenrat". Auf sie hören ihre Landsleute. Und vertrauen ihr vorbehaltlos. So musste sie niemanden lange überreden, die von der Diakonie angebotene Psychotherapie anzunehmen.

"Für uns ist es sehr wichtig, dass wir uns öffnen können und Mitgefühl bekommen. In Tschetschenien gibt es den Begriff des psychisch Kranken nicht. Das kennen wir nicht." Österreicher machen Urlaub in den Bergen, um sich vom Alltagsstress zu erholen - für Tschetschenen hätte ein Aufenthalt in alpinen Regionen fatale seelische Folgen. Deshalb fühlen sie sich im Flachland südlich von Wien auch ausgesprochen wohl.

Leben und leben lassen, das ist das Motto, das Tschetschenen schon von Kindesbeinen an lernen. "Wir haben großen Respekt vor allen anderen Nationalitäten. Andererseits wollen wir auch nicht, dass sich jemand in unser Leben einmischt. Wir haben gern unsere Ruhe", erzählt Frau K. In ihrer Straße lebten einst elf verschiedene Volksgruppen. Und an den jeweiligen Feiertagen hat man sich gegenseitig eingeladen, miteinander gegessen und getrunken.

"Was wir an Österreich so bewundern, ist, dass die Menschen hier die Möglichkeit haben, in Frieden zu leben. Sobald wir über die Grenze kommen, sehen wir, dass die Leute lachen und ihre Freiheit genießen", beschreibt Frau K. ihre ersten Eindrücke nach ihrer Flucht. Dinge, die in ihrer Heimat nach wie vor nicht existieren. Krieg und Verfolgung gehören bereits für Generationen von Tschetschenen zum Alltag. Deshalb auch das enorme Gemeinschaftsgefühl: "Nur wenn wir zusammenhalten, können wir überleben."

Frau K.s größter Wunsch ist ein Termin beim Innenminister: "Ich möchte ihm von unserem Volk erzählen, eine Verbindung herstellen. Ich will, dass die Österreicher verstehen, wie wir wirklich sind."

An die seit 1989 bestehende Beratungsstelle des Evangelischen Flüchtlingsdienstes wenden sich jährlich rund 4.000 KlientInnen, das bedeutet mehr als 8.500 Einzelberatungen. Obwohl sich die Einrichtung nicht als Rechtsberatung versteht, ist sie nach eigenen Angaben täglich mit der Unterbringung von obdachlosen AsylwerberInnen befasst.

Bereits seit geraumer Zeit suchen viele Tschetschenen die Hilfe der Diakonie. Jener 24-Jährige, der bei der Schlägerei am Samstagabend den Tod fand, hatte seinen Asylantrag zurückgestellt, berichtete die Pressereferentin der Diakonie, Karin Tzschentke: Er wollte heimkehren, um sich um seine Mutter zu kümmern, die nach seiner Flucht von russischen Soldaten festgehalten worden war.(APA)