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Barbara Alberts zweiter Film läuft an...
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER
Über dem Golf von Mexiko gerät ein Flugzeug in arge Turbulenzen und stürzt ab. Fünf Jahre später fährt die einzige Überlebende dieser Katastrophe, Manu (Kathrin Resetarits), von der Landdisco nach Hause und kommt bei einem Frontalzusammenstoß ums Leben. Schicksal oder Schmetterlingseffekt? Bestimmung oder Chaos?

Diese Fragen stellt sich Böse Zellen, der mit Spannung erwartete zweite Spielfilm von Barbara Albert, zuerst gar nicht: Der spektakuläre Beginn ist eher ein ungewöhnliches Mittel, um mit affektiver Wucht in das Milieu und die Leben der Hinterbliebenen vorzudringen.

In einer äußerst komplexen, nach vielfältigen Relationen arrangierten Montage splittert Böse Zellen seine Erzählung auf, lässt, ohne einer bestimmten Handlung zu folgen, das Bild einer Gesellschaftsschicht (quer durch alle Altersgruppen) entstehen, das von etlichen anderen Bildern gesättigt ist: Es sind Menschen an der Peripherie der Stadt, von denen der Film erzählt, von deren alltäglicher Suche nach Glück, den vielen Heilsversprechungen, von den Bedingungen dieses Lebens.

Wobei es Albert um transzendentale wie um soziale Fragen gleichermaßen geht: Immer wieder blickt die Kamera von oben auf die Menschen herab, tauchen religiöse und spirituelle Motive auf, was dem Film über seinen sozialrealistischen Gestus hinaus eine metaphysische Dimension verleiht. Umgekehrt werden die allseits präsenten Versprechungen des Konsums verzeichnet - schon in der Bauweise des Films, wenn im Zeitraum des Geschehens eine Mall entsteht.

Die zentralen Figuren stehen der verstorbenen Manu nahe, sind Freundin (Ursula Strauss), Freund (Georg Friedrich) oder Bruder (Rupert Lehofer): Albert protokolliert ihren Umgang mit Schmerz, ihre Einsamkeit, die oft hilflosen Maßnahmen dagegen.

Schon dies macht Böse Zellen zu einem düsteren Film mit Szenen von bedrückender Intensität: Dabei geht es gar nicht nur um Trauer, der Todesfall scheint vielmehr eine umfassendere Malaise noch zu verstärken.

Jede/r trägt hier ein schweres Kreuz, hat sein eigenes Trauma zu bewältigen, und manche Figur - etwa Manus Schwester, die Mätresse eines einbeinigen Pensionisten - wirkt dabei in ihrem Elend allzu determiniert: Da wird Albert, die ansonsten soziale Zusammenhänge sehr differenziert bestimmt, ein wenig zu eindeutig.

Die eindrücklichsten Momente des insgesamt sehr ambitionierten Films sind dagegen oft jene, in denen sich kurz ein Raum auftut und die Figuren ganz bei sich sein können: Das passiert meist über Popmusik, der hier noch mehr als in Nordrand eine dramatische Funktion zukommt. In der Discothek, im Auto, beim Chor oder auf der Straße wird selbstvergessen (mit)gesungen.

Und auch im Umgang mit dem Fernsehen ist Böse Zellen sehr pointiert: Eine Versöhnungstalkshow mit dem Titel "Verzeih mir" läuft öfters im Bildhintergrund mit und wird später sogar in die Handlung integriert. Sie ist ein weiterer selbstverständlicher Teil dieser Welt, ein Mittel unter vielen, von denen man sich eine Form von Erlösung verspricht.

Das Pferd im Mann

Ein weiterer bemerkenswerter Zweitfilm in einem sonst noch lauen Wettbewerb war Emilie Deleuzes Mister V. Nach dem Arbeiterdrama Peau Neuve unternimmt die französische Regisseurin einen Richtungswechsel und erzählt eine eigenwillige Geschichte um ein ungestümes Pferd, das seinen Besitzer tötet. Dessen Bruder erbt es und entwickelt eine obsessive Beziehung zu dem Tier.

Mister V - so der Name des Pferdes - nimmt sein Drama ganz wörtlich, verkehrt jedoch die übliche Gangart: Nicht das Pferd wird darin domestiziert, sondern der Mann verwildert zum Tier. Der Film bezieht aus diesem in taktilen Bildern ausgetragenen Wettkampf zwischen Mensch und Tier seinen Reiz, changiert dabei zwischen einer untergründigen Spannung und grotesken Momenten - etwa, wenn Pferd und Mensch zu steppen beginnen: ein faszinierender kleiner Film jedenfalls, mit dem sich Deleuze als eigenständige Autorin erweist. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 12.8.2003)