Für eine abschließende Bilanz des Irakkrieges ist es noch zu früh, doch kann schon jetzt Folgendes festgestellt werden:

Wie erwartet konnten die Koalitionstruppen dank waffentechnischer Überlegenheit einen raschen Sieg erringen, wobei lediglich der geringe Widerstand von Saddams berüchtigten Garden überraschte. Die täglichen Anschläge gegen die Besatzungstruppen sind – vom militärischen Standpunkt –bloße Nadelstiche, haben aber gefährliche psychologische Auswirkungen.

Bei den Soldaten verstärken sie das zermürbende Gefühl einer ständigen Bedrohung, und aufseiten der irakischen Bevölkerung wird der Hass gegen die Besatzung durch die oft unkontrollierten und mit zivilen Todesopfern verbundenen Abwehraktionen weiter angeheizt.

Den Vereinigten Staaten ist es gelungen, das Kurdenproblem im Norden des Landes unter Kontrolle zu halten. Weder kam es zum befürchteten Aufstand oder zur militärischen Besetzung der Stadt Mossul durch kurdische Kämpfer noch zum Eingreifen türkischer Truppen. Offensichtlich wurden Zusagen gemacht, wonach das Kurdengebiet seine Autonomie im Rahmen einer zukünftigen irakischen Bundesverfassung behalten wird, darüber hinausgehende Aspirationen jedoch kein Gehör finden werden.

Ungeliebte Besatzer

In dem durch den Regimewechsel hervorgerufenen Chaos hat die Koalition eher hilflos agiert. Auf die Sicherheitsprobleme schien man nicht vorbereitet zu sein, und die Annahme, die irakischen Verwaltungsstrukturen könnten nach Entfernung der engsten Anhänger Saddam Husseins und der Baath-Partei ihre Tätigkeit nahtlos weiterführen, erwies sich als unrealistisch.

Ebenso mussten die Koalitionstruppen bald erkennen, dass sie von der irakischen Bevölkerung trotz allgemeiner Freude über das Ende der Diktatur als ungeliebte Besatzer angesehen werden, die man so schnell wie möglich loswerden möchte.

Über die nicht gefundenen Massenvernichtungswaffen sollte man sich nicht allzu sehr erregen, da die angebliche Bedrohung durch den Irak zumindest für die USA ohnedies nicht der wahre Grund für das militärische Eingreifen war. Jedermann wusste, dass Saddam über keine Atomwaffen verfügte und dass biologische Waffen laut Expertenmeinung nach wenigen Jahren ihre Wirksamkeit verlieren. Auch wenn der Verbleib der von den UNO-Inspektoren seinerzeit erfassten chemischen Substanzen unbekannt ist, war es gerade die geringe Gefährlichkeit Saddam Husseins für die internationale Sicherheit, welche die Skepsis so vieler Menschen in Europa gegenüber diesen Krieg begründete.

Für Washington und London ergibt sich allerdings ein Glaubwürdigkeitsproblem, welches weder durch die nach längerem Hin- und Herschieben des schwarzen Peters erfolgte Übernahme der Verantwortung durch Präsident Bush noch durch die Erklärung Premierminister Blairs, dass die Geschichte ihm Recht geben werde, aus der Welt geschafft werden konnte.

Kleiner Freiraum

Das Aufspüren der beiden Saddam-Söhne war ein großer Erfolg für die Koalition. Es wurde damit jeder Spekulation über eine Fortsetzung des Regimes durch Erbfolge ein Ende gesetzt und dokumentiert, dass Verrat auch in den engsten Kreisen um den gestürzten Diktator möglich ist. Mit jeder Verhaftung hoher Potentate wird der Freiraum für Saddam kleiner, und es ist zu erwarten, dass man demnächst auch seiner habhaft wird.

Überlegungen, wonach es das Beste wäre, wenn der Diktator ähnlich wie seine Söhne bei dieser Gelegenheit sein Ende fände, muss allerdings mit Entschiedenheit entgegengetreten werden. Erstens ist es nicht die Tradition amerikanischer Regierungen, selbst verbrecherische Gegner vorsätzlich zu töten, und zweitens läge es im Interesse der gewünschten Transformation des Irak, dass Saddam der Gerichtsbarkeit zugeführt wird, so wie dies in Demokratien üblich ist.

Und zwar sollte dies vor einem irakischen Tribunal mit einheimischen Anklägern und Richtern geschehen, um jeden Eindruck von Siegerjustiz zu vermeiden und der Bevölkerung des Irak die Gewissheit zu vermitteln, dass sie selbst es ist, die diesen Schritt der Vergangenheitsbewältigung vornimmt.

Akt der Solidarität

In der vorhersehbaren Zukunft werden die Koalitionsmächte weiter die Hauptverantwortung für Sicherheit, Versorgung, Wiederaufbau und politische Erneuerung im Irak tragen. Daran ändert auch die Entsendung von Minikontingenten durch eine Vielzahl von Staaten nichts, die einen Akt der politischen Solidarität darstellt, aber weder die militärische Schlagkraft der Koalition erhöht, noch die finanzielle Belastung vor allem für das explodierende Budget der USA vermindert.

Anders verhielte es sich im Falle einer Beteiligung von Ländern wie Deutschland, Frankreich oder der Türkei, für die allerdings ein Mandat durch den UNO-Sicherheitsrat politisch unverzichtbar wäre.

Sollte es trotz der grundsätzlichen Ablehnung der Militäraktion im Irak durch diese Staaten sowie der amerikanischen Zurückhaltung gegenüber einer Einschaltung der Vereinten Nationen zu einer solchen Zusammenarbeit kommen, wäre dies im Interesse der transatlantischen Freundschaft nur zu begrüßen.(DER STANDARD, Printausgabe, 12.8.2003)