Wovon reden wir? Sozialwissenschaftern genügt es nicht, einen Begriff wie, sagen wir, Freundschaft historisch herzuleiten und ansonsten als bekannt vorauszusetzen (wie in den Beiträgen in diesem Dossier). Sie brauchen präzisere Definitionen, um den Gegenstand für die Forschung handhabbar zu machen. Einen Gegenstand im Übrigen, der es erst in den letzten Jahrzehnten, zwischen "Liebe", "Nachbarschaft", "Gruppe" u. ä. eingeklemmt, zu eigenem Ansehen gebracht hat. O "Wahre Freundschaft besteht in der Pflege ähnlicher Gesinnungen und setzt gemeinsame Entwicklung (...) voraus." Das sagte Siegfried Kracauer zwar schon lange zuvor, doch für einen Empiriker ist das noch zu vage. Denn was ist wiederum Gesinnung, was Entwicklung? O "Eine freiwillige, herrschaftsfreie und platonische Beziehung, die durch eine diffuse Reziprozität gekennzeichnet ist und deren inhaltliche Ausgestaltung weitestgehend von der Vorstellung der Freunde abhängt": Der deutsche Soziologe Christof Wolf verpackt so viele Attribute wie möglich in seine Definition, und der Psychologe Heinz Reinders kommt nach Durchsicht ungezählter weiterer Versuche zur folgenden sozusagen Metadefinition: O Eine "Beziehungsform, die die Partner, welche sich als gleichberechtigt wahrnehmen, freiwillig eingehen und die auf Gegenseitigkeit von Gefühlen sowie der Bereitschaft zur Freundschaft basiert."

Was Robert K. Merton und Paul F. Lazarsfeld unter Freunden beobachtet haben, nämlich: O "they tend to over-select similars as friends and, at the extreme, to confine their friendships to individuals of like kind", wird beim mathematischen Soziologen James Coleman endlich zur Formel, in der zum Beispiel O ",a' refers to the probability that the person will gain a new friend within some (infinitely small) time point".

Was geht dabei verloren? Eine Qualität, die sich nicht in der Akquisition möglichst vieler Freunde erschöpft, die im Gegenteil das paradoxe Element der Konzentration aufnimmt. Ruth Klüger hat sie wunderbar erkannt. Sie schreibt: O "Freunde ergänzen einander, ergänzen heißt ganz machen, um das nötig zu haben, muss man geschädigt sein, aber wenn man es nötig hat, so kann man auch niemand brauchen, der auf dieselbe Weise beschädigt ist, sondern jemand, der andere Schäden aufweist. Die Freunde füllen die Lücken." (m"f"/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9./10. 8. 2003)