Das ministerielle Weisungsrecht hat seine Verdienste. Alfred J. Noll hat dessen Vorzüge (im Standard vom 18. 12. 2013) hervorgehoben. Zu Recht betont er dessen Verankerung im Legalitätsprinzip und politische Funktion sowie staatliche Interessen bei der Strafverfolgung. Noll verweist zutreffend auf die Gefahr der Abschottung der Staatsanwaltschaft vom demokratisch-parlamentarischen System und mangelnde Transparenz sowie den "marktschreierischen" Charakter eines Weisenrates. Trotzdem greift seine Kritik zu kurz, weil sie dem Weisungsrecht des Justizministers weiterhin das Wort redet.

Das Grundproblem ist, dass die Entscheidung, ob die Staatsanwaltschaft im Einzelfall anklagt, einstellt oder diversionell vorgeht, ein Rechtsschutzproblem darstellt. Praktiker des Strafrechts sind sich einig darin, dass die herkömmlichen Rechtsschutzmechanismen nicht anwendbar sind. Das Spezifikum bei Anklageentscheidungen ist, dass sie nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens rasch zu ergehen haben, und ein gerichtliches Hauptverfahren mit allen Rechtsschutzgarantien daran anschließt. Anders gefragt: Gibt es einen besseren Rechtsschutz im Anklagebereich als das ministerielle Weisungsrecht?

In vergangenen Zeiten ist es nicht immer leicht gewesen, die Staatsanwaltschaft als eine gegenüber dem Gericht eigenständige Justizbehörde wahrzunehmen. Seit Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes 2008 hat sich aber Grundlegendes verändert: Die Staatsanwaltschaften leiten das Ermittlungsverfahren effektiv. Dieser Verfahrensabschnitt ist nunmehr adversatorisch (mit effektiven Rechten für Anklage und Verteidigung, also nicht inquisitorisch) ausgestaltet. Schon der Geruch, der dem ministeriellen Weisungsrecht anhaftet und immer anhaften wird, passt nicht zu diesem neuen System und gehört daher ins Ausgedinge.

Allein die Auswahl der Justizminister der vergangenen Jahre belegt, worum es Regierenden primär geht: um (macht-)systemkonforme Personalentscheidungen. Natürlich spielt es eine Rolle, ob ein Bundeskanzler, Ex-Landeshauptmann, CEO eines staatsnahen Unternehmens oder ein Manager eines privaten Finanzdienstleisters oder gar ein Räuber angeklagt werden soll - aber wollen wir Bürger wirklich, dass nicht einzig die Beweislage am Ende des Ermittlungsverfahrens entscheidend für die Erhebung der Anklage ist? Jedenfalls dem äußeren Anschein nach verbürgt das System des ministeriellen Weisungsrechts, dass der Einfluss von Regierungsparteien über die Auswahl des Justizministers Einflussnahmen bei der Entscheidung über die Anklageerhebung ermöglicht.

Reicht die bloße Veränderung der Weisungsspitze hin zum "Generalstaatsanwalt" aus (gleichviel, ob es sich dabei, wie diskutiert, um den Generalprokurator beim Obersten Gerichtshof, den jeweils Leitenden Oberstaatsanwalt oder einen neuen Bundesstaatsanwalt handelt)? Würde dies das Rechtsschutzsystem im Bereich der Anklageerhebung verbessern?

Das Parlament hat in den Auswahl- und Bestellungsprozess des "staatsanwaltlichen Weisungsherrn" ob der notwendigen Verzahnung von Justiz und Politik eingebunden zu sein. Aber kein Parlament dieser Welt sollte ernsthaft erwägen, für diese leitende Stellung einen noch so bewährten Abteilungsleiter einer Landesregierungsbehörde, einen (EU-)Abgeordneten, einen erstinstanzlichen Richter eines clamorosen Strafverfahrens oder einen "reinen" Rechtsprofessor zu bestellen, weil das Amt zwar auch politisches Feingefühl, vor allem aber justizielle Professionalität und Erfahrung erfordert, die Praktiker des Strafrechts am Höhepunkt einer Berufslaufbahn aufzuweisen vermögen. Die Justiz ist kein Familienunternehmen der politischen Parteien in diesem Land.

Daher plädiere ich für die Verlagerung der Weisungsspitze zu einem Typus Organwalter, der die Anklagebehörden wie seine Westentasche kennt, zu einem Experten, dem Fragen der Anwendung des Strafrechts nicht fremd sind und der daher nicht dem Rat von Kabinetten oder anderen Fachleuten ausgeliefert ist, wenn er - weitreichende - Anklageentscheidungen letztverantwortlich mitgestaltet und verantwortet. Vor allem bewährte Staatsanwälte und erfahrene Richter erfüllen dieses Anforderungsprofil, nicht aber rechtskundige Parteigänger.

Rechtsprofessoren, Beamte und Anwälte sind weiter Idealbesetzung für das Amt des Justizministers, dessen Aufgabe nicht sachgerechte Einzelfallentscheidung bei einer Anklage ist, sondern neben vielem anderen die Rechts- und Kriminalpolitik im Allgemeinen - ein weites Feld, das nicht durch eine staatsanwaltliche Weisungsherrschaft ständig konterkariert und leichtfertig der Kritik ausgesetzt werden darf. Daher: Weg mit dem Weisungsrecht des Ministers! Für eine Generalstaatsanwaltschaft als oberste Spitze der Staatsanwaltschaften in Österreich! (Richard Soyer, DER STANDARD, 30.12.2013)