Wien - Nein, die Parteiendemokratie hat sich nicht überlebt - aber alle fünf Jahre einmal zur Wahl zu gehen, das reiche den Bürgern nicht, sagt Stefan Schennach, SPÖ-Bundesrat aus Wien. Die Politik - zuvorderst seine eigene Partei - müsse Wege finden, "Bürger in positiver Weise einzubinden". Denn die Erfahrung hat den Sozialdemokraten mit Wurzeln in Tirol und bei den Grünen gelehrt, dass Bürgerbeteiligung im Wesentlichen aus Protest besteht.

Die bisherigen Anläufe, Volksbegehren zu erleichtern, reichen seiner Meinung nach nicht aus: Es gäbe viele Gestaltungsideen, die man auf ganz andere Art in die Politik einbringen sollte.

Modell auf Finnland

Konkret schwebt Schennach ein finnisches Modell vor. Dafür würden jährlich rund 500 Vorschläge der Bürger für Gesetze gesammelt, 50 davon kämen in die nähere Wahl, und fünf würden dann - entsprechend überarbeitet - in Gesetze einfließen. Dies sei eine Perspektive, die langfristig auch für Österreich interessant wäre. Schennach: "Wir müssen uns fragen, wie Demokratie 2030 aussehen soll. Das Prinzip 'one man - one vote' wird da sicher nicht mehr ausreichen."

Es gebe vielmehr Gruppen, die sich verstärkt einbringen wollen, weit abseits von bisherigen Parteistrukturen, wo sich SPÖ-Sektionen einmal im Monat treffen: "Die 68er übersiedeln jetzt nach und nach ins Seniorenheim. Diese Senioren haben natürlich ganz andere Ansprüche, die fragen als Erstes, ob es ein freies WLAN gibt. Die Pensionisten heute sind internet-firm, da gibt es keine Digital Divide mehr."

Die Ideen dieser jugendlichen Alten, aber auch die der jungen Menschen, die vorgeblich nichts mit Politik zu tun haben wollen, müssten die Parteien aufsammeln und in die politische Gestaltung einbringen: "Beim Crowdsourcing geht es darum, Stimmungen, Wünsche, Meinungslagen frühzeitig zu erkennen - wenn das nicht gelingt, werden wir die Jugend verlieren."

Ein Weg dahin wäre das "Semantic Polling", die Beobachtung der Karriere bestimmter Begriffe im Internet - ein Thema, das zuletzt von der parlamentarischen Versammlung des Europarats (der Schennach angehört) und vom World Forum for Democracy viel diskutiert worden ist.

Bildungsferne Schichten oft nicht im Internet vertreten

Allerdings gelte es, die Balance zu wahren - und das wäre Aufgabe der gewählten Parteien: Gerade wenn kleine Gruppen relativ großen Einfluss auf die Politik bekommen, dann müssten die professionellen Politiker und die Parteien sich darum kümmern, dass es einen Ausgleich in der repräsentativen Demokratie gibt. Erstens könnten sich nicht alle Bürger an allen Diskussionen beteiligen, und zweitens könnten sich einige vielleicht gar nicht beteiligen: Bildungsferne Schichten sind oft nicht im Internet vertreten - sie dürften genauso wenig ins Abseits gedrängt werden wie die Bewohner peripherer Regionen, die in eine Minderheitsposition kommen könnten. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 30.12.2013)