Vorschläge von Helmut Kramer und Gabriele Matzner.

Dass Sebastian Kurz unverzüglich Weichen für eine strategische Planung österreichischer Außenpolitik gestellt hat, zu der auch externe Experten herangezogen werden sollen, ist sicherlich ein positives Zeichen. Denn eine solche Planung tut bitter not. Und in diesem Kontext auch eine Bestandsaufnahme und ein Rückblick.

Der durchaus kompetente di­plomatische Apparat Österreichs ist dank krasser Unterfinanzierung in einer veritablen Krise. Der ohnehin vergleichsweise mickrige Personalstand im In- und Ausland ist von über 1600 im Jahre 1995 auf heute knapp 1200 geschrumpft, also fast um ein Viertel – und das bei weit mehr Bedarf an internationaler Präsenz als vor rund 20 Jahren, schon allein für die Betreuung reiselustiger Staatsbürger. Viele Außenstellen (Botschaften und Konsulate) wurden entwe­der geschlossen oder fast auf Ein-Mann/Frau-Betriebe reduziert – vor allem in Lateinamerika oder Afrika, wirtschaftlichen Hoffnungsgebieten für Österreich. In vielen Ländern zählt die je­weilige österreichische Botschaft, wenn vorhanden, zu den personell schwächsten unter den EU-Staaten, rangiert wie in London gerade vor Malta oder Estland. In Schlüsselabteilungen der Zentrale arbeiten oft nur zwei bis drei Personen, zweieinhalb beispielsweise in der Abteilung für ganz Amerika oder drei bis vier für ganz Asien.

Ein weiteres Trümmerfeld sind die Solidarleistungen Österreichs, eines der reichsten EU-Länder. Die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit dümpelt bei blamablen 0,28 Prozent BNP (2012), weit entfernt von jenen 0,7, zu denen wir verpflichtet sind. Diese und andere Minderleistungen und Absenzen (vor allem des Ex-Au­ßenministers auf dem internationalen Parkett) und Aktionen wie der abrupte Golan-Rückzug schä­digen unser Image, auch als dritter Uno-Sitz-Staat. Vielfach beschränkte sich Österreichs Au­ßenpolitik mangels Planung und Personal zuletzt auf Reagieren statt Agieren.

Außenpolitik ist eine "Querschnittmaterie" , das Außenministerium beansprucht schon lange keine Alleinkompetenz. In unserer Brüsseler Vertretung sind Di­plomaten in der Minderheit. Doch kommt dem Außenministerium und seinen Außenstellen dort eine koordinierende Funktion im In­­ter­esse der bestmöglichen Durchsetzung von Interessen zu. Vordringlich ist eine adäquate Dotierung und Modernisierung des Ministeriums, auch der "Zulieferer"  zweckdienlicher Informationen über internationale Entwicklungen, also der Außenstellen (Botschaften, Konsulate), die Stärkung der "inhouse capacity" .

"Modernisierung" ist aber nicht die bisherige Praxis, Ministersekretären und PR-Instituten Aufgaben oder Aufträge zuzuschanzen, die Beamte auch und wahrscheinlich besser und sicher preiswerter erfüllen können. PR-Meldungen über alles und jedes, wie üblich, sind kein Ersatz für Politik.

Worin könnte nun diese "Modernisierung"  bestehen? Nicht nur organisatorisch, sondern auch sub­stanziell? Es liegt Jahrzehnte zurück, dass in Österreich seriös, engagiert und kontrovers über Au­ßenpolitik diskutiert wurde. Dieses Dossier zu betreuen gilt – in Verkennung der Tatsachen und in Kniefälligkeit vor dem Boulevard – in den Parteien als Orchideenfach oder Strafe. Es wird auch für den neuen Außenminister nicht leicht sein, seinem "Fach"  auch in­nenpolitisch Geltung zu verschaffen bzw. begreiflich zu machen, dass diese mysteriöse Disziplin etwas mit unser aller Leben und nicht nur mit Cocktailpartys und unbezahlten Strafmandaten zu tun hat. Investitionen in Au­ßenpolitik sind Investitionen in Österreichs Zukunft, das sollte Außenminister Kurz, der nach eigenen Worten als "Übersetzer die oft abstrakte Europa- und Außenpolitik näher zur Bevölkerung bringen"  will, der Öffentlichkeit und seinen Regierungskollegen klarmachen.

Es ist an der Zeit, dass in diesem Land wieder über Außenpolitik diskutiert wird, über jene, die wir in die EU einbringen oder die wir autonom gegenüber Nachbarn und außereuropäischen Regionen betreiben wollen und können. Zu einer solchen Diskussion sollten auch Wissenschafter, Forschungsinstitute, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft nachhaltig herangezogen werden. Wichtig in diesem Diskussionsprozess wäre auch, wieder einen breiten, parteienübergreifenden nationalen Konsens über Grundwerte und -ziele unserer Außenpolitik an­zustreben. Welche Chancen und Möglichkeiten hat das neutrale Österreich im Bereich der internationalen Mediation und der weltweiten Durchsetzung der Menschenrechte? Welchen (annähernden) Konsens gibt es etwa über die Rolle der EU im wirtschaftlich-sozialen Bereich oder bei der Bekämpfung einer Klimakatastrophe? Welche Bedeutung messen wir Zukunftsfragen der Uno bei? Und was folgt daraus für unsere Außenpolitik?  (DER STANDARD, 28.12.2013)