Die Bilder waren beklemmend: nackte Männer, die sich im Freibereich des Flüchtlingslagers auf der winterlich kalten Mittelmeerinsel Lampedusa nackt aufstellen müssen, um "aus hygienischen Gründen" mit einem Schlauch abgespritzt zu werden: Das heimlich via Smartphone aufgenommene Video, das um die Welt ging, erinnerte ein bisschen daran, wie US-Soldaten im Furor des "war on terror" irakische Gefangene gefoltert hatten.

Kein Wunder also, dass ein Aufschrei des Erschreckens und der Empörung durch die Europäische Union schallte. Ein wahres Wunder wäre freilich, wenn dem Geschrei und der Kritik an der italienischen Verwaltung etwas von Substanz zum Schutz der Flüchtlinge folgen würde. Dass das betreffende Lager nun, nach einer ziemlich langen Schrecksekunde, geschlossen wurde, kann keinesfalls als Lösung aller Probleme gelten.

Im Betroffenheitspathos ist man in Europa gerne groß - zuletzt, als vor Lampedusa fast 400 Menschen auf der Flucht elend ertranken. In Sachen Solidarität, gemeinsame Verantwortung und Menschenrechtspolitik, die diesen Namen verdient, wirkt die Festung Europa eher klein.

Der unmittelbar auf die Katastrophe vor Lampedusa folgende EU-Gipfel zum Thema Flüchtlingspolitik brachte, wieder einmal, keine Ergebnisse. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann schlug immerhin - erfolglos - vor, Länderquoten für die Aufnahme von Flüchtlingen einzuführen. Diese funktionieren zwar in Österreich auch nicht blendend, wären aber immerhin ein anderer Ansatz als der bisherige, der auf Abschotten, Wegschicken, Wegschauen fokussiert. Die EU setzt weiter auf den Ausbau des Grenzschutzes durch die Agentur Frontex und das neue Überwachungsprogramm Eurosur. Konkrete Gespräche über Änderungen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik sollen erst im Juni 2014 stattfinden.

Wenige Tage nach dem Oktober-Gipfel wurden übrigens wieder dutzende Tote, diesmal vor der Küste Maltas, aus dem Meer gefischt. Völlig zu Recht fühlte sich da der kleine Inselstaat von der EU im Stich gelassen. So wie die Griechen, als sie, finanziell ohnehin stark unter Druck, für die unhaltbaren Zustände in ihren überfüllten Flüchtlingslagern Rüffel bekamen - so wie jetzt die Italiener, denen EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström ausrichtete, sie werde prüfen lassen, ob die "Behandlung von Migranten in Italien den EU-Regeln entspricht".

Das ist bemerkenswert kaltschnäuzig angesichts der Tatsache, dass sich bis jetzt die EU-"Partner" nicht durchringen konnten, jene Staaten zu unterstützen, welche die stärkste Flüchtlingslast tragen. Allein heuer hat sich die Zahl der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien flüchteten, mehr als verdreifacht. Keiner, der bereit wäre, auf Lampedusa oder Malta gestrandete Flüchtlinge freiwillig aufzunehmen. Ganz zu schweigen von einer schlüssigen Migrationsstrategie.

Stattdessen pflegt die gesamte Union konsequente Verweigerungshaltung: nur nicht zugeben, dass man längst zum Einwanderungskontinent geworden ist, dann muss man sich auch nicht über die daraus folgenden Konsequenzen Gedanken machen.

Daher darf getrost spekuliert werden, dass beim Flüchtlingsgipfel im Juni auch nichts herauskommen wird. Wie sagte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy nach dem gescheiterten Oktober-Gipfel treffend: "Migration ist eben ein komplexes Thema." (Petra Stuiber, DER STANDARD, 28./29.12.2013)