Wien - Am 4. Oktober 1941 reiste eine siebenköpfige Schriftstellerdelegation auf Initiative des deutschen Botschafters im besetzten Paris zum ersten "Europäischen Dichtertreffen" nach Weimar. Die prominenten französischen Autoren hatten sich dem Geist der Kollaboration mit den Deutschen verschrieben und waren in der Öffentlichkeit als Sympathisanten des Faschismus bekannt. Ramon Fernandez schrieb später, die Begegnung in Weimar sei Symbol des schöpferischen Dialogs und der Hoffnung auf ein neues Leben gewesen, für André Fraigneau war es der Auftakt zur Schaffung eines neuen europäischen Klassizismus. André Thérive schwärmte von der schöpferischen Freiheit, die die Nazis gewährten.

Gründungsmythos

Bis heute halten viele Franzosen am Gründungsmythos der Nachkriegsrepublik fest, wonach Frankreich sich als eine im Widerstand vereinte Nation selbst befreite. Dass dem Widerstand gegen die Deutschen nur eine verschwindend kleine Zahl von Franzosen angehörte, wurde lange verleugnet. Doch nun sind zahlreiche neue Arbeiten publiziert worden, die das selbstgerechte Bild Nachkriegsfrankreichs geraderücken. Am ergiebigsten sind die Forschungsarbeiten zur kulturellen Kollaboration.

Der deutsche Botschafter im besetzten Frankreich verfügte für kulturelle Propaganda über eine Milliarde Francs. Damit wurden Zeitungen, Verlage und Theater subventioniert: Die französische Presse wurde nicht durch Terror, sondern durch Verführung und Korruption gleichgeschaltet. Auch das künstlerische Leben war dank deutscher Geldspritzen äußerst rege. Sacha Guitry dinierte mit Ernst Jünger; Serge Lifar, den Hermann Göring zum Leiter eines "europäischen Balletts" machen wollte, führte im Juni 1940 Hitler durch die Pariser Opéra.

Ein Drittel der Zuschauer, die Maurice Chevalier und Mistinguett applaudierten, waren Angehörige der deutschen Wehrmacht. Beide Künstler gingen später auf Tournee durch die Gefangenenlager in Deutschland. Pablo Picasso, dem die KPF nach dem Krieg mit viel Mühe eine Widerstandslegende andichtete, empfing in seinem Atelier hohe Nazi-Offiziere.

Wichtigster Mann an der deutschen Botschaft war Gerhard Heller. Der oberste Zensor im besetzten Paris trimmte die Zeitung Nouvelle Revue Française (NRF) auf Kollaborationskurs und übergab die Leitung des Blattes an Drieu La Rochelle. Bei Heller trafen sich Linke wie Rechte, Kollaborateure und Antifaschisten. Selbst der spätere Nobelpreisträger François Mauriac, den man dem Widerstand zurechnen muss, stand auf vertrautem Fuß mit ihm. In der besetzten Seine-Metropole blühte das literarische Leben. Jean-Paul Sartre veröffentlichte unter den Augen der Besatzungsmacht Das Sein und das Nichts, Simone de Beauvoir 1943 ihr Erstlingswerk Sie kam und blieb, Camus seinen Roman Der Fremde. Auch Colette und Genet, Aragon und Elsa Triolet schrieben und publizierten im Einvernehmen mit der Zensur.

Ebenso berühmt wie berüchtigt war der Fall des Armenarztes Louis-Ferdinand Céline. Sein erster Roman Reise ans Ende der Nacht, erschienen 1932, machte ihn weltweit bekannt. Céline kam von links und wurde zu einem der wüstesten Antisemiten, die je in der Literatur ihre Stimme erhoben. Selbst den deutschen Besatzern war er unheimlich. Und doch gilt er heute als einer der ganz Großen der französischen Literatur, der die Welt beschrieb, wo sie am finstersten ist. Nach der Befreiung von Paris floh er mit den Resten der Vichy-Regierung nach Sigmaringen, anschließend nach Dänemark, wo man ihn ins Gefängnis steckte. In Frankreich war er in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden. Ohne sein persönliches Fiasko einzugestehen, kokettierte er mit seiner literarischen Bedeutung, nannte sich "der Erzschriftsteller des Jahrhunderts" und klagte, "Sartre und Konsorten" hätten ihn geistig ausgeplündert.

Umbruchphase

Anderen erging es schlechter in dieser Umbruchphase. Drieu La Rochelle brachte sich mit Autoabgasen um, Brasillach wurde von ehemaligen Résistance-Kämpfern füsiliert. Ein Conseil National des Ecrivains, dem Mauriac, Sartre, Camus, Malraux, Eluard und Aragon angehörten, saß im Herbst 1945 über Künstler und Intellektuelle wegen ihrer Kollaboration mit den Deutschen zu Gericht. Dabei wurden auch ältere Rechnungen beglichen. Drieu la Rochelles Nouvelle Revue Française wurde abgeschafft. Ihr Verleger Gaston Gallimard schwenkte nach links und ließ eine neue Zeitschrift gründen: Les Temps modernes mit Jean-Paul Sartre an der Spitze des "intellektuellen Flagschiffs".

Sieben Jahre später, 1952, forderte der Schriftsteller Roger Nimier den Nobelpreis für Céline. Der bewohnte damals eine heruntergekommene Villa in Meudon. Sie wirkte, erinnerte sich Ernst Glaeser noch Jahre später, "wie das Mausoleum einer verkniffenen, spitznasigen Witwe aus der Zeit um 1910, deren in der Provinz lebende Neffen um ihre Eisenbahnaktien buhlten".

Céline selbst, der am 1. Juli 1961 starb, meldete sich noch posthum: "Die Epoche gehört mir! Ich bin der Gebenedeite der Literaten! Meine Stunde wird kommen ...! Sie werden noch von mir reden, von meinen grauenhaften Büchern, wenn Franzosen nicht mehr existieren ... In Mali übersetzt, werde ich noch weiterleben, wenn dieses kleine Kap Asiens vollkommen ausgelöscht ist ...!" (Wolf Scheller, DER STANDARD, 27.12.2013)