Ein Selbstporträt der Malerin bei der Arbeit: "In meinem Atelier" von Lotte Laserstein (1898-1993), entstanden im Jahr 1928.

Foto: Jüdisches Museum Frankfurt/ Main, Anna-Carola Krausse, Berlin

Alles schwankt. Und das Publikum gleich mit. Der bunte Flokatiteppich, vom Künstler Tobias Rehberger in die neue Sonderausstellung des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main gelegt, gibt nach. Festigkeit wird zur Illusion. Das Ganze erinnert an tückisch federnden, nachgiebigen Morast. Tatsächlich ist man sogleich mitten in einem tückisch federnden, moralischen Morast - dem Kunstbetrieb im Deutschland des Jahres 1938 und seinen Folgen bis heute.

1938, in diesem außenpolitisch höchst aggressiven Jahr der NS-Politik, war der Umbau des Kunstbetriebs endgültig abgeschlossen, die ökonomische Ächtung und Verdrängung jüdischer Künstler, Kunsthistoriker und -händler vollzogen, die bürokratische Radikalisierung perfekt. Das Pogrom in der Nacht des 9. November war Auftakt der folgenden physischen Auslöschung. All das ist bei der didaktisch wagemutig kargen Schau ständig präsent. Beziehungsweise bildet es das eigentliche Thema.

Auch dass 1938 prägende Strukturen geschaffen wurden, die bis weit über 1945 hinaus Wirkung zeitigten. Denn wer nach dem Holocaust mitentscheiden konnte, wer Kunst begutachtet, wer mit ihr handelt, wer sie verkauft und wer an ihr verdient, nachdem erfolgreichere Mitbewerber enteignet, vertrieben oder ermordet worden waren, das war nicht nur für den Kunstbetrieb in Westdeutschland wesentlich.

Diese Zäsur-Bedeutung dieses Zäsur-Jahres wollen die Ausstellungsmacherinnen Eva Atlan und Julia Voss, Kunstredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, vorführen, anhand ausgesuchter Paar-Konstellationen und Paar-Kontraste. Anhand der Gegenüberstellung von Künstlerinnen wie der realistischen Malerin Lotte Laserstein (emigriert) und der expressiven Elfriede Lohse-Wächtler (ermordet) mit Nazi-Künstlern wie Edmund Steppes oder Werner Peiner. Es ist ein einleuchtendes Prinzip, das jedoch ob der überschaubaren Ausstellungsfläche an räumliche Grenzen stößt.

Manches, etwa die "Alt-Aktion", die rigorose Beschlagnahmung von 800 Arbeiten Rudolf von Alts, Hitlers Künstlervorbild, in Wien im Frühjahr 1938, wird im Katalog profunder ausgeführt und erhellender eingebettet. Nicht weniges wird überhaupt erst in den Aufsätzen des Begleitbuchs schlüssig. Etwa der rabiate Antisemitismus des lange vor 1933 in der Wolle gefärbten Nationalsozialisten Emil Nolde wie auch dessen autobiografische Selbstzensur nach 1945 inklusive der Weißwäsche durch Kunsthistoriker und Nolde-Stiftung. Erst in den letzten Jahren wurde die Janusköpfigkeit dieses Künstlers anerkannt, der 1941 Malverbot auferlegt bekam, in den Jahren davor aber immer wieder an offiziellen Ausstellungen teilnehmen konnte. Tatsächlich gab es bis Mitte der 30er-Jahre eine Debatte der nationalsozialistischen Kunstpolitik über sogenannten Nordischen Expressionismus.

Fluide Grauzonigkeit

Es herrschte eine fluide Grauzonigkeit. Nicht jeder, der als "entartet" eingestuft wurde, war gleichzeitig Avantgarde oder modern. Auch das führt die Ausstellung vor. Die jüdische akademische Malerin Lotte Laserstein, die sich 1937 nach Schweden rettete und 1993 hochbetagt starb, war es definitiv nicht. Was für Lasersteins Karriere nach 1945 hieß, dass sie sehr lange gründlich ignoriert wurde.

Der ideologisch irrlichternde Expressionist Heinrich Ehmsen, ab 1940 NS-Maler an der Front, konnte 1950, nach seiner Übersiedlung ins sozialistische Ostberlin, auf Kontakte zur Linken der 20er-Jahre verweisen. Elfriede Lohse-Wächtler, als Dritte schlaglichtartig beleuchtet, hingegen wurde Opfer. Ab 1931 Insassin in der Psychiatrie, wurde sie 1940 umgebracht.

Die Täter, auch das wird gezeigt, profitierten nachhaltig. Und bildeten sehr rasch Seilschaften und restitutionsresistente Netzwerke. (Alexander Kluy, DER STANDARD, 27.12.2013)