Die neue Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek hat als Beamtenministerin das Lehrerdienstrecht zentral mitverhandelt.

Foto: Standard/Urban

"Ich würde in den nächsten Monaten und Jahren gerne mehr AHS-Unterstufen davon überzeugen, eine Neue Mittelschule zu werden", sagt Heinisch-Hosek.

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Die neue Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) will die Neue Mittelschule weiter ausbauen und so ihrem Ziel der gemeinsamen Schule einen Schritt näher kommen. Helfen könnten ihr die von der ÖVP gestellten Landeshauptleute in Tirol, Salzburg und Vorarlberg. "Es wäre durchaus möglich, dass man entweder ein ganzes Bundesland oder einzelne Regionen als Modellregionen definiert", sagt sie im STANDARD-Interview: "Dort könnte man die Gesamtschule etablieren. Wenn diese Landeshauptleute an mich herantreten, bin ich sehr dafür, dass wir diese Modellregionen bilden." Bei den Verhandlungen habe sie sich bereits mit Salzburgs Landeschef Wilfried Haslauer (ÖVP) geeinigt. ÖVP-Chef Michael Spindelegger dürfte die Idee gestrichen haben.

STANDARD: Mit der Veröffentlichung des Koalitionsabkommens ist gleichzeitig der Bildungssprecher der SPÖ zurückgetreten. Wie erklären Sie sich das?

Heinisch-Hosek: Elmar Mayer war Mitglied des Verhandlungsteams. Er hat hervorragende Arbeit geleistet, und ich bedaure seinen Schritt sehr. Hundert Prozent der eigenen Ideen kann man in einem Koalitionsabkommen nicht verwirklichen. Es ist sein gutes Recht zu sagen, dass er nicht mitkann, wenn die Gesamtschule nicht im Regierungsproramm steht. Ich glaube dennoch, dass mit der Umstellung auf die Neue Mittelschule ein erster Schritt in Richtung gemeinsame Schule schon passiert ist. Ich würde in den nächsten Monaten und Jahren gerne mehr AHS-Unterstufen davon überzeugen, eine Neue Mittelschule zu werden.

STANDARD: Soll es Anreize für die Gymnasien geben?

Heinisch-Hosek: Die Anreize liegen auf der Hand: zwei Lehrer in den Hauptfächern, projektorientierter Unterricht und einige Annehmlichkeiten mehr.

STANDARD: Zur Gesamtschule steht gar nichts im Regierungsprogramm. Und das, obwohl mit dem Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer jemand die Verhandlungen für die ÖVP geführt hat, der hier als liberaler gilt. Warum konnte man sich nicht einmal auf Modellregionen einigen?

Heinisch-Hosek: Da erwarte ich mit Spannung, ob die Landeshauptleute Günther Platter, Markus Wallner und vielleicht auch Haslauer an mich herantreten. Mit kleinen Änderungen im Schulorganisationsgesetz wäre es durchaus möglich, dass man entweder ein ganzes Bundesland oder einzelne Regionen als Modellregionen definiert. Dort könnte man die gemeinsame Schule etablieren. Wenn diese Landeshauptleute an mich herantreten, bin ich sehr dafür, dass wir diese Modellregionen bilden.

STANDARD: Während der Verhandlungen über die neue Regierung gab es das Gerücht, dass es Potenzialanalysen bzw. Aufnahmetests beim Übergang von der Volksschule ans Gymnasium geben soll. Warum ist das jetzt doch nicht geplant?

Heinisch-Hosek: Aufnahmeprüfungen waren nie geplant. Ich hatte mit Haslauer ausverhandelt, dass wir Modellschulen definieren, die zwei Orientierungsjahre beim Übertritt in die AHS-Unterstufe umsetzen. Dort wären dann ins Haus Gymnasium auch Mittelschulkinder gegangen und umgekehrt. Nach zwei Jahren hätten wir geschaut, wie die 13-Jährigen weitermachen. Das ist leider nicht gelungen. Vielleicht gibt es aber Schulen, die das machen würden. Als Unterrichtsministerin würde ich solchen Modellen nicht im Wege stehen.

STANDARD: Warum haben Sie das nicht durchgebracht?

Heinisch-Hosek: Das war dann in der Endverhandlung kein Thema mehr.

STANDARD: Also die Chefs waren dagegen?

Heinisch-Hosek: Letztendlich wurde es doch nicht aufgenommen.

STANDARD: Sie planen den Ausbau der verschränkten Ganztagsschule. Müssen hier weiterhin zwei Drittel der Lehrer und Eltern zustimmen?

Heinisch-Hosek: Wir planen einen massiven Ausbau der ganztägigen Schulen. Es reicht, wenn zwölf beziehungsweise 15 Schüler pro Schulstufe den Bedarf anmelden. Das wird viel leichter. Wenn das Angebot einmal da ist, wird sehr schnell erkannt werden, welche Vorteile eine Abwechslung von Lernen, Freizeit und Sport hat.

STANDARD: Die Schulverwaltung findet sich im Programm mit nur einem Satz. Sie versprechen Lehrer von administrativen Tätigkeiten zu entlasten. Gibt es hier schon konkrete Vorhaben?

Heinisch-Hosek: Ich muss mir zunächst anschauen, wie groß der Bedarf ist. Vereinbart wurde schon unter meiner Vorgängerin, dass 150 Beamte aus Post und Telekom für die Schulverwaltung bereitstehen würden. Die ersten Wechsel könnten mit dem neuen Jahr beginnen.

STANDARD: Die Gewerkschaft fordert mit 13.500 zusätzlichen Personen viel mehr.

Heinisch-Hosek: Die Gewerkschaft hat nie zwischen pädagogischem und administrativem Personal unterschieden. Die Studie, auf die sich hier die Gewerkschaft bezieht, ist für unser Schulsystem nur schlecht umlegbar. Im Pflichtschulbereich sind etwa die Länder zuständig, da haben wir im Moment noch zu wenig Einblick. Ich werde dazu bald Gespräche mit den Landeshauptleuten beginnen.

STANDARD: Bildungspolitik wird oft mit Stillstand in Verbindung gebracht. Haben Sie schon eine Strategie, wie Sie da herauskommen?

Heinisch-Hosek: Man kann nicht oft genug betonen, was wir schon alles umgesetzt haben. Wer sich von einem Jahr aufs andere erwartet, dass Schule sich neu etabliert, der hat sich getäuscht. Wir haben die Lehrerausbildung über Jahre hinweg diskutiert, jetzt wird sie erneuert. Das Dienstrecht, die Neue Mittelschule, die Zentralmatura wird umgesetzt, eine Ausbau-Offensive bei den Ganztagsschulen wird kommen. Im Bildungsbereich gibt es viele Interessengruppen: die Länder, die Lehrer, deren Vertrauen ich wieder zurückgewinnen möchte, die große Zahl der Eltern. An vielen Schrauben gleichzeitig zu drehen, das ist die Aufgabe, die ich weiterführen möchte.

STANDARD: Im Regierungsprogramm konzentrieren Sie sich vor allem auf den Übergang vom Kindergarten in die Volksschule. Dabei soll auch jedes vierjährige Kind auf Kompetenzen getestet werden. Wie wird das konkret ausschauen?

Heinisch-Hosek: Das ist noch zu entwickeln. Unsere Vorstellung bei den Verhandlungen war, dass die Kindergartenpädagogin umfassend die Entwicklung des Kindes anschaut. Auch dahingehend, ob es noch irgendwo Nachholbedarf gibt. Also etwa, ob es gut genug Deutsch spricht. Das wird in einem Portfolio festgehalten, das die Kinder mitbekommen, der Übergang in die Volksschule soll damit leichter werden. Ich würde mir auch wünschen, dass die Volksschullehrerin mit der Kindergartenpädagogin zusammenarbeitet. Ich nenne diese Vernetzung eine Volksschulreform. Wir müssen auch die Volksschullehrerinnen motivieren, dass sie mit den Kindergartenkindern ein bis zwei Stunden verbringen.

STANDARD: Die Gefahr, dass man den Kindern das Kindsein nimmt, wenn man sie schon mit vier Jahren testet, sehen Sie nicht?

Heinisch-Hosek: Testen kann auch sein, dass ich das Kind beobachte und Notizen mache, mit den Eltern rede. So kann das Beziehungsdreieck zwischen Kind, Eltern und Pädagogen besser funktionieren.

STANDARD: Am Mittwoch haben 40.000 Beamte für eine Gehaltserhöhung und gegen das neue Lehrerdienstrecht demonstriert. Beides haben Sie mitverhandelt. Wenn so viele Menschen auf die Straße gehen, fragen Sie sich da, ob die Kritik doch berechtigt ist?

Heinisch-Hosek: Ich gestehe zu, dass jeder Wechsel eines Systems auch Unsicherheit hervorruft. Ich kann die Kritikpunkte entkräften. Den Wunsch nach höheren Einstiegsgehältern erfüllen wir. Mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen heißt auch mehr Qualität. Nicht jede der 24 Stunden der Unterrichtsverpflichtung wird auch eine Unterrichtsstunde sein. Auch Beziehungsarbeit mit Kindern wird bezahlt. Die Begeisterung für den Lehrberuf wird ungebrochen sein. Junge Kollegen haben fünf Jahre Zeit, sich dafür oder dagegen zu entscheiden.

STANDARD: Die Lehrergewerkschafter fordern in einer Petition eine Arbeitszeitstudie. Werden Sie ihnen da noch entgegenkommen?

Heinisch-Hosek: Ich halte nichts davon, eine Arbeitszeitstudie zuzulassen, die den jetzigen Zustand beschreibt. Wir wollen für die Lehrer im neuen Dienstrecht nachschauen, ob sie gut zu Rande kommen. Es wird eine begleitende Studie geben.

STANDARD: Sie waren 18 Jahre Lehrerin. Die meiste Zeit davon an einer Schule für Schwerhörige. Österreich hat sich in der UN-Behindertkonvention verpflichtet, die Sonderschulen abzuschaffen. Wird das in Ihrer Amtszeit passieren?

Heinisch-Hosek: Alles mit Maß und Ziel. Ich habe in einer Sondereinrichtung unterrichtet, wo ich erkannt habe, dass Kleinstgruppen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen sehr wichtig sind. Von heute auf morgen alle Sondereinrichtungen abzuschaffen, wäre nicht im Sinne der Kinder. Derzeit ist leider das Verhältnis von Lehrern zu Schülern noch nicht so, dass die Betreuung für diese Kinder gewährleistet ist. Ob wir das in fünf Jahren erreicht haben, wage ich nicht zu sagen. Auch durch die budgetären Nöte.

STANDARD: Es gibt die Sorge, dass Sie für das Frauenministerium wenig Zeit haben werden, weil sie jetzt ein so großes Ministerium übernommen haben. Außerdem sind die Frauenagenden jetzt nicht mehr als Querschnittsmaterie im Bundeskanzleramt angesiedelt.

Heinisch-Hosek: Die Koordinierungskompetenz habe ich mir aus dem Bundeskanzleramt mitgenommen. Hier hat sich nichts verändert. Ich werde im Bereich Bildung sehr viel lernen und sehr viel zuhören müssen. Die Frauenarbeit ist gut eingespielt und läuft. In einem halben Jahr werde ich mich wieder zur Hälfte um die Bildung und zur Hälfte um die Frauen kümmern. Ich werde sicher nicht nachlassen. (Lisa Aigner, DER STANDARD, 21.12.2013)