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Silvesterraketen sind schön anzusehen, aber für die Ohren nicht ungefährlich.

Foto: APA/Herbert Pfarrhofer

Fast 800.000 Besucher haben letztes Jahr am Silvesterpfad in der Wiener Innenstadt lautstark den Jahreswechsel gefeiert. Manche von ihnen mussten am nächsten Morgen wohl noch vor dem Katerfrühstück eine HNO-Abteilung aufsuchen, wo Anfang Jänner Hochbetrieb herrscht: Laute Silvesterkracher, die oft inmitten von Menschenansammlungen gezündet werden, sind jährlich für zahlreiche Knalltraumata nach dem Silvesterabend verantwortlich - und können im schlimmsten Fall irreversible Schäden am Gehör verursachen.

"Bei einem Blitz kann man die Augen schließen, bei einem Knall aber nicht das Ohr", sagt Patrick Zorowka, Facharzt für HNO-Heilkunde und Phoniatrie und Leiter der Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen in Innsbruck. In unmittelbarer Nähe entzündet, können Silvesterböller ein akutes Knalltrauma verursachen. Dabei handelt es sich um ein akustisches Trauma, das durch eine extrem kurze Einwirkzeit - der Knall eines Feuerwerkskörpers dauert weniger als 1,5 Mikrosekunden - und einer extrem hohen Schalldruckwelle von bis zu 150 Dezibel bedingt wird. Silvesterraketen können also lauter sein als ein Presslufthammer oder ein startender Düsenjet. "Das sind besonders gefährliche Lärmtraumata", gibt Zorowka zu bedenken.

Stoffwechselkollaps im Innenohr

Mediziner gehen beim Knalltrauma von einem Stoffwechselkollaps im Innenohr aus. Die dort befindlichen Sinneszellen, die sogenannten Haarzellen, werden dabei geschädigt, während Trommelfell und Gehörknöchelchen intakt bleiben - das Ohr sieht also auf den ersten Blick völlig unauffällig aus. Auf den zweiten Blick sprechen die Symptome aber eine klare Sprache: Die Patienten klagen über eine Hörminderung im hohen Frequenzbereich und zumeist Ohrgeräusche. Später kann es zu einer Überempfindlichkeit bei lauten Geräuschen, einem verzerrtem Höreindruck sowie dem Gefühl, ein verschlagenes Ohr zu haben, kommen.

Wer die Beschwerden auch am Morgen nach dem Knall noch hat, der sollte schleunigst Hilfe suchen: "Je früher man zum Arzt geht, desto besser", betont Zorowka. Die allgemein empfohlene Erstmaßnahme bei einem Knalltrauma sei eine durchblutungsfördernde Infusionstherapie, wie sie auch beim Hörsturz üblich ist, um die Stoffwechselsituation im Innenohr zu verbessern. Den Empfehlungen der HNO-Fachgesellschaften entsprechend würden über einen Zeitraum von zehn bis vierzehn Tage vasodilatatorische Medikamente und Kortison verabreicht.

Gefahr von Langzeitfolgen

Eine Garantie für einen Behandlungserfolg gibt es aber nicht. Selbst in Expertenkreisen ist die Wirksamkeit der Infusionen nicht unumstritten. "Der Effekt dieser Therapie ist wissenschaftlich nicht eindeutig bewiesen, sondern beruht auf der allgemeinen klinischen Erfahrung", räumt auch Zorowka ein. Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen kommt es zu einer Besserung, bei einem Teil davon auch zu einer Normalisierung - unabhängig von der durchgeführten Therapie. "Ob jedoch eine Spontanremission ohne Therapie eintritt, kann ich nicht voraussagen", so Zorowka. "Deshalb möchten die meisten Patienten auch alles versuchen."

Die Spanne der Alternativmaßnahmen ist weit und reicht von Akupunktur bis hin zu Ohrkerzen. Auch hyperbare Sauerstofftherapien mit Sauerstoffgabe in einer Überdruckkammer zählen zu den angebotenen Therapiemöglichkeiten. Seriöse wissenschaftliche Studien zum Nachweis der Wirksamkeit fehlen jedoch zumeist.

Der Behandlungserfolg der empfohlenen medikamentösen Therapie hängt laut Zorowka stark davon ab, ob das Ohr vorgeschädigt ist. Deshalb sollten vor allem Menschen mit Risikofaktoren vorsichtig sein. Dazu gehören ein bereits erfolgter Hörsturz, Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen, aber auch eine familiäre Disposition für Hörstörungen.  "Die Empfindlichkeit gegenüber Lärm ist individuell unterschiedlich", erklärt Zorowka. In einer Aussendung weist die Initiative "Beat the Silence", die über Hörverlust aufklärt, besonders auf die Gefahr von Feuerwerkskörpern für Kinder hin: Ihr Gehör sei weitaus empfindlicher und vor allem kleinere Kinder hätten noch nicht die Möglichkeiten, Geräusche als schädlich oder unschädlich einzuordnen.

Hörminderung und Tinnitus

Im schlimmsten Fall können Silvesterböller massive bleibende Schäden in Form von starker Hörminderung und Tinnitus verursachen: "Beides führt dann dazu, dass zukünftig nur mit Hilfe von Hörgeräten eine ausreichende Kommunikation möglich ist. Das muss den Leuten schon bewusst sein", stellt der Mediziner klar.

Anna S. lebt seit zwei Jahren mit den Folgen eines Knalltraumas: Das Gefühl, dass ihr Ohr in Watte eingepackt ist, verging zwar nach einer Therapie, das Piepsen im Ohr aber blieb: "Wenn du mit jemandem redest ist es nicht so schlimm, aber wenn du alleine bist, dann realisierst du, dass es nie wieder ganz ruhig sein wird", erzählt die junge Frau. Ihr Tinnitus wurde zwar in den letzten Monaten leiser und liegt nun laut Hörtests nur noch knapp über der Wahrnehmungsgrenze, doch ganz verschwinden wird er wohl nie wieder. "Ich kann mir mittlerweile gar nicht mehr vorstellen, wie es anders wäre", meint sie.

Bei Großveranstaltungen hat sie nun immer Gehörschutz im Gepäck. "Vorbeugen ist besser als heilen - das gilt auch hier", betont Zorowka - und schützen kann man sich vor einem Knalltrauma eigentlich nur, wenn man große Menschenansammlungen zum Jahreswechsel meidet. Wer das neue  Jahr trotzdem am Silvesterpfad beginnen will, der sollte sich zumindest einen Gehörschutz, zum Beispiel in Form von Ohrenstöpseln, besorgen - eine Vorsichtsmaßnahme, die laut Zorowka ohnehin auch sonst im Alltag üblich sein sollte. (Franziska Zoidl, derStandard.at, 31.12.2013)