Deutsche Forscher haben einen Mechanismus in der Zelle identifiziert, der das unkontrollierte Wachstum von Krebszellen erklärt. Damit könnten die Wissenschafter vom Leibniz-Instituts für Altersforschung in Jena einen Ansatzpunkt gefunden haben, um unkontrolliertes Zellwachstum in Tumorgewebe zu stoppen, ohne dass gesunde Zellen dabei absterben. Das ausschlaggebende Eiweißmolekül Chk1 zählt zu einer Gruppe von Enzymen, die den Zellzyklus und damit auch die Vermehrung der Zellen steuern. Bisher war jedoch unklar, wie dieses Enzym aktiviert wird und wo genau in der Zelle es sich befindet. Die Ergebnisse werden in der Fachzeitschrift "Nature Communications" veröffentlicht.

Jede Zelle mit einem Zellkern durchläuft von einer Zellteilung zur nächsten eine Abfolge von physiologischen Ereignissen, den Zellzyklus. Gesteuert wird der Ablauf durch genetische Signale und die Aktivität von Zellzyklusproteinen. Eines davon ist das untersuchte Chk1. Ist dieses Enzym in zu hoher Konzentration vorhanden, dann wird die Steuerung des Zellzyklus gestört. In der Folge wird das Erbgut während der Synthesephase immer wieder verdoppelt. Die Zellen wachsen unkontrolliert zu Krebsgewebe heran.

Wichtige Reparaturmechanismen

Auf der anderen Seite werden Zellen im Laufe ihres Lebens geschädigt, zum Beispiel durch Umwelteinflüsse wie Strahlung und Gifte aber auch durch natürliche Alterung. Damit sich solche Schäden vor allem im Erbgut nicht anhäufen, stehen der Zelle verschiedene Reparaturmechanismen zur Verfügung, die denen ebenfalls von Enzymen wie der Poly(ADP-ribose), kurz PARP-1, gesteuert werden.

"Beide Enzyme, PARP-1 und Chk1, sind schon länger bekannt.", sagt Forschungsgruppenleiter Zhao-Qi Wang. "Wir wussten bisher aber nicht, wie die beiden zusammenwirken, um eine reibungslose Reparatur von Genomschäden und damit auch die fehlerfreie Replikation der DNA zu gewährleisten."

Zusammenwirken von Reparaturmechanismen und Zellteilung

Die Forscher um WooKee Min in Jena konnten nun zwei entscheidende Ergebnisse veröffentlichen: Völlig überraschend stellten sie fest, dass Chk1 nicht frei in der Zelle verfügbar ist, sondern direkt in den Fabriken sitzt, in denen DNA kopiert wird. Diese Bindung muss aber stabilisiert und aktiviert werden. Und an diesem Punkt kommt das Enzym PARP-1 ins Spiel. Es stabilisiert die Verbindung zwischen Genomstrang und Chk1. Gleichzeitig verändert es das Enzym so, dass es Energieträger aufnehmen und aktiv werden kann.

Damit ist den Wissenschaftern ein wichtiger Schritt gelungen. Sie konnten das Zusammenwirken von DNA-Reparaturmechanismen und der Steuerung der Zellteilung während des Zellzyklus aufklären. Außerdem konnten sie diesen Prozess direkt am Genomstrang im Zellkern während der Verdopplung der Erbinformation lokalisieren.

Neue medizinische Möglichkeiten

Die Prinzipien dieses Zellmechanismus sind in allen Zellen gleich. In Jena wurde sowohl mit Mäusezellen, aber auch mit menschlichen und mit Affenzellen gearbeitet. So können die Ergebnisse direkt in die medizinische Forschung einfließen.

Die Ergebnisse haben nach Ansicht der Forscher wegweisende Bedeutung für die Entwicklung neuer Medikamente in der Krebstherapie. "Schalten wir das Enzym Chk1 durch Medikamente komplett aus, so sterben die Zellen und damit das Gewebe ab." erklärt Zhao-Qi Wang. "Lösen wir allerdings nur die Bindung zwischen Chk1 und Genom, so ist das Protein zwar noch vorhanden und die Zelle kann weiterleben, aber es kann nicht mehr aktiv werden." Das wilde Zellwachstum und damit auch das weitere Fortschreiten der Krebserkrankung sind gestoppt. Die Forscher haben somit über ihre Grundlagenforschung die Tür für die Entwicklung neuer Krebsmedikamente geöffnet. (red, derStandard.at, 1.1.2014)